Dialektik der Rationalisierung
Eine Tagung zur Geschichte des Büros
Eine Tagung zur Geschichte des Büros
von Urs Hafner · Neigt
sich die Ära des Büros, wie wir es kennen, dem Ende zu? Einiges spricht
dafür. Die tonangebenden Firmen der Internetbranche machen aus dem
Arbeitsplatz ein zweites Daheim, damit der Angestellte sich völlig mit
seiner Firma identifiziere. Banken, Versicherungen und bundesnahe
Betriebe wiederum heben aus Kostengründen die fixen Arbeitsplätze auf.
Die Angestellten lassen sich im Grossraumbüro nieder, wo gerade Plätze
frei sind, oder arbeiten auf ihren mobilen Geräten unterwegs und daheim.
Disziplinierung und Demokratisierung
Das moderne Büro entstand am Ende
des 19. Jahrhunderts als Resultat und Motor der westlichen
Rationalisierung und Bürokratisierung, wie eine zweitägige Konferenz deutlich
machte, die letzte Woche in Bern im Schweizerischen Bundesarchiv
stattfand (von diesem und dem Institut für populäre Kulturen der
Universität Zürich organisiert). Das Kontor und die Kanzlei vereinigend,
trennte das Büro für Männer und unverheiratete Frauen nun deutlich den
Lebensraum vom Arbeitsort. Mit dem Taylorismus, der die Arbeitsabläufe
wissenschaftlich optimierte, kam - zuerst in den progressiven
Vereinigten Staaten - der «Bürosaal» auf. In fabrikähnlichen Räumen
füllten Hunderte von Bürolistinnen und Beamten, unablässig auf ihre
Schreibmaschinen hämmernd, Formulare aus und erledigten Korrespondenzen.
Adriana Kapsreiter (Berlin) malte
die streng gerasterten Säle, in denen ein ohrenbetäubender Lärm
geherrscht haben müsse, als Orte der totalen Disziplinierung und
Überwachung aus, wo Menschen maschinengleich an «Taylor-Schreibtischen»
arbeiteten, die jede überflüssige Bewegung und die Ablage unnützer
Gegenstände verhinderten. Fast wie der Aufseher in Jeremy Benthams
berüchtigtem «Panopticon» hatte der Vorsteher in seinem gläsernen
Einzelbüro die Untergebenen, die keine Pause machen durften, permanent
im Blick. Mit dieser Szenerie kontrastierte Kapsreiter die Ende der
1950er Jahre aufkommenden «Bürolandschaften», die einen deutlich
freundlicheren Eindruck machen. Nun waren die Arbeitsplätze nicht mehr
schematisch, sondern wie zufällig, gleichsam organisch angeordnet;
zwischen den Tischen standen Blumenkisten und Stellwände, die vor
Geräuschen schützten, eine Pausenecke lud mit Kissen zum Kaffee. Ob man
freilich daraus eine Humanisierung der Arbeitswelt ablesen kann, wie
dies die Referentin tat? Ihre Bilder schienen diese Entwicklung
nahezulegen, doch sie sind, was sie nicht bedachte, fotografische
Inszenierungen. Was in den Grossraumbüros tatsächlich geschah, verraten
sie wohl kaum.
Dass die Rationalisierung der
Arbeitswelt eine dialektische Sache ist, ging aus dem Vortrag von
Christine Schnaithmann (Berlin) hervor. Sie stellte das nach Frank Lloyd
Wrights Entwürfen 1906 in Buffalo erbaute Larkin-Gebäude vor, das die
Büros der gleichnamigen Seifenfabrik beherbergte. Es wartete unter
anderem mit einer Klimaanlage, möglichst einfach zu reinigenden Möbeln
und neuartigen Toilettenschüsseln auf. Auch dieses Gebäude sei auf
Effizienzsteigerung der Arbeitenden getrimmt gewesen, aber diese sollten
sich zugleich wohl fühlen, betonte Schnaithmann. Ob sein Gebäude als
schön galt oder nicht, sei für Frank Lloyd Wright zweitrangig gewesen;
es habe vor allem «leben» müssen.
Auch in den Ausführungen Jens van
de Maeles (Gent) zur Reform der belgischen Verwaltung in der
Zwischenkriegszeit stach die Vielschichtigkeit der Rationalisierung
hervor, wie sie schon Max Weber soziologisch beschrieben hat. In den
monumentalen «perfekten Gebäuden», die Grossraumbüros und mehr
Toiletten, Licht und Luft vorsahen (die aber aus finanziellen Gründen
nie gebaut wurden), sollten die Angestellten effizienter arbeiten,
zugleich aber die Vorgesetzten ihre räumlichen Privilegien verlieren und
die Bürger Einblick in eine transparente Verwaltung gewinnen.
Rationalisierung bedeutete hier neben Disziplinierung auch
Demokratisierung.
Larkin Administration Building was designed in 1904 by Frank Lloyd Wright for the Larkin Soap Company of Buffalo, New York, at 680 Seneca Street
Larkin Administration Building was designed in 1904 by Frank Lloyd Wright for the Larkin Soap Company of Buffalo, New York, at 680 Seneca Street
Die legendären USM-Büromöbel
Wie eine mit
Demokratisierungsvorstellungen einhergehende Design-Innovation am Ende
den Distinktionsbedürfnissen des Kaders zugutegekommen sei, legte Bernd
Kulawik (Zürich) in seiner witzigen Hommage an die berühmten, 1965 auf
den Markt gebrachten Schweizer USM-Büromöbel und deren Miterfinder Fritz
Haller dar. Auch die schier unendlich kombinierbaren Module, deren
Herzstück eine Messingkugel ist, sollten die Arbeitswelt flexibler,
effizienter und demokratischer machen. Für die Sekretärin war der
gleiche schlichte Tisch vorgesehen wie für den Chef. Doch heute sind
USM-Möbel, wie die Werbekampagne glauben machen möchte, ein
Statussymbol. Immerhin nicht mehr nur für Männer.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen