Kriege sind der Entwicklungsmotor der Menschheit
Ian Morris sieht positive Entwicklungen der Menschheit von Gewalt getrieben
Ian Morris sieht positive Entwicklungen der Menschheit von Gewalt getrieben
Wien - Kriege sind für die Entwicklung der Menschheit notwendig und damit nicht nur schlecht - mit dieser provokanten These lässt der Historiker Ian Morris von der US-Universität Stanford in seinem aktuellen Werk aufhorchen. Erst mit dem aus den großen Kriegen des 20. Jahrhunderts resultierenden Weltsystem habe die Notwendigkeit zur Gewalt ihr Ende gefunden, sagte Morris, der auf Einladung des Bruno-Kreisky-Forum Wien besuchte.
Kontinuierliche Abnahme von Gewalt
Mit "Krieg. Wozu er gut ist" (Campus) legte der Forscher im Oktober eine sich über 20.000 Jahre erstreckende Untersuchung dar, die sich auf archäologische und historische Erkenntnisse stützt. Im Laufe der Menschheitsgeschichte sei die Gewalt immer weiter zurückgegangen, heißt es darin. Während in prähistorischen Zeiten noch zehn bis 20 Prozent der Menschen eines gewaltsamen Todes gestorben seien, wären es im 20. Jahrhundert trotz großer Kriege und Genozide nur mehr 0,7 Prozent gewesen.
Möglich geworden sei diese Entwicklung laut Morris gerade durch Gewalt. Während primitive Gesellschaften ihre Konflikte um Ressourcen noch durch Weiterziehen lösen konnten, wurde nach Darstellung des Historikers durch Ackerbau und wachsende Bevölkerungszahlen Krieg immer unvermeidlicher. Das historische Paradox bestehe jedoch darin, dass danach die unterlegene Gesellschaft in die der Sieger integriert worden sei. Die neuen Herrscher hätten dann jeden Grund gehabt, weiteres Blutvergießen - wenn nötig gewaltsam - zu unterdrücken. Aus Jäger-und-Sammler-Stämmen von 20 Menschen wurde das Römische Imperium mit 70 Millionen Einwohnern, argumentiert Morris.
Friede durch Unterdrückung
In der Moderne hätten sich schließlich von Europa ausgehend Staatengebilde etabliert, die ganze Kontinente umspannten und diese durch Unterdrückung "befriedeten". Bereits das britische Weltreich habe eine ähnliche Hegemonialmacht entfaltet wie heute die USA, in einer Situation, die der heutigen erschreckend ähnlich sei, sagte Morris. Doch das Empire der Briten hatte mit Deutschland und anderen Mittelmächten starke Rivalen, es habe sich darum um eine "dysfunktionale Weltmacht" gehandelt. Die Folge war ein Weltkrieg mit 100 Millionen Toten.
Welche Rolle der Erste Weltkrieg für das Ende der Gewalt hatte, sei erst jetzt langsam abzusehen, glaubt Morris. Die beste Art, solche Abläufe zu betrachten, sei in Jahrhundert-Schritten. 1919 hätten die Siegermächte von einem guten, sinnvollen Krieg gesprochen. In den 1930ern, unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise und des Aufstiegs des Faschismus hieß es wieder, der Krieg sei entsetzlich gewesen. Erst nach 1989 habe man den Großen Krieg nicht als singuläres Ereignis sehen können, sondern als Beginn eines "kurzen Jahrhunderts", an dessen Ende eine einzige Supermacht verblieben ist, die USA.
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