Eine jüdische Sekte wird zur Staatsreligion
Werner Dahlheim schildert die Geschichte des Römischen Reiches am Leitfaden der Ausbreitung des Christentums
von Stefan Rebenich · Dies ist ein grosses Buch. Glänzend geschrieben. Spannend zu lesen. Und der Verfasser hält mehr, als der Titel verspricht: Werner Dahlheim beschreibt keineswegs nur «Die Welt zur Zeit Jesu», sondern er gibt eine eindrückliche Darstellung der Geschichte des Römischen Reiches von der Zeitenwende bis in die Spätantike. Der rote Faden ist die Ausbreitung des Christentums, das als jüdische Sekte in Palästina begann, drei Jahrhunderte lang vom römischen Staat Toleranz einforderte und im vierten nachchristlichen Jahrhundert zur Staatsreligion erhoben wurde - und den Glauben an den dreieinigen Gott nun unbarmherzig mithilfe der Obrigkeit durchsetzte.
Werner Dahlheim schildert die Geschichte des Römischen Reiches am Leitfaden der Ausbreitung des Christentums
von Stefan Rebenich · Dies ist ein grosses Buch. Glänzend geschrieben. Spannend zu lesen. Und der Verfasser hält mehr, als der Titel verspricht: Werner Dahlheim beschreibt keineswegs nur «Die Welt zur Zeit Jesu», sondern er gibt eine eindrückliche Darstellung der Geschichte des Römischen Reiches von der Zeitenwende bis in die Spätantike. Der rote Faden ist die Ausbreitung des Christentums, das als jüdische Sekte in Palästina begann, drei Jahrhunderte lang vom römischen Staat Toleranz einforderte und im vierten nachchristlichen Jahrhundert zur Staatsreligion erhoben wurde - und den Glauben an den dreieinigen Gott nun unbarmherzig mithilfe der Obrigkeit durchsetzte.
Eine Bewegung und ihr Weg
Die Themen sind breit gesteckt,
die Synthese der weitverzweigten Forschung ist beeindruckend. Hier die
administrative Struktur des Grossreiches und die Herrschaftspraxis des
römischen Prinzeps, dort die alltäglichen Freuden des kleinen Mannes und
die ästhetischen Genüsse der gebildeten Elite. Politik und
Gesellschaft, Militär und Verwaltung, Religion und Philosophie,
Literatur und Kunst finden zusammen, und sicher geleitet Werner Dahlheim
den Leser durch den «orbis terrarum», der zu Jesu Zeit schon zum «orbis
Romanus» geworden war. Die römische Ordnungsmacht sorgte für die innere
und äussere Stabilität, die den Aufstieg und die Mission des
Christentums begünstigte.
Werner Dahlheim: Die Welt zur Zeit Jesu.
Werner Dahlheim: Die Welt zur Zeit Jesu.
C. H. Beck, München 2013. 428 S., Fr. 39.90.
Die Bewegung, die sich auf den gekreuzigten Jesus von Nazareth zurückführte, an dessen Auferstehung glaubte und in ihm den im Alten Testament verheissenen «Messias» oder «Gesalbten» Gottes (griechisch «Christós») erkannte, nahm ihren Ausgang in Jerusalem und breitete sich mittels Missionaren zunächst in den Städten der östlichen Mittelmeerküste aus. In Alexandria tauchte der Name «Christen» als Fremdbezeichnung für die Anhänger Jesu auf. Die endzeitlichen Prophetien erreichten in den Synagogen der Diaspora hellenistisch geprägte Juden. Aber der Erfolg des neuen Glaubens ging, wie Dahlheim eindrücklich beschreibt, mit der Loslösung vom Judentum einher. In Antiochien wurde zum ersten Mal das Evangelium den Heiden gepredigt. Die Universali- sierung der Heilsbotschaft ist Paulus zu verdanken, einem Repräsentanten des pharisäischen Judentums aus Tarsus in Kilikien, der Jesus als Messias und Gottes Sohn erkannt haben wollte. Paulus nahm den Missionsauftrag Jesu an und führte auf seinen Reisen Nichtjuden zum Glauben an den Auferstandenen. Er initiierte einen Prozess, der letztlich zur Trennung von Synagoge und Kirche führte. Die Christen, die an jüdischen Gebräuchen und Gesetzesvorschriften festhielten, wurden bald als «heterodox» stigmatisiert und später verfolgt.
Die Bewegung, die sich auf den gekreuzigten Jesus von Nazareth zurückführte, an dessen Auferstehung glaubte und in ihm den im Alten Testament verheissenen «Messias» oder «Gesalbten» Gottes (griechisch «Christós») erkannte, nahm ihren Ausgang in Jerusalem und breitete sich mittels Missionaren zunächst in den Städten der östlichen Mittelmeerküste aus. In Alexandria tauchte der Name «Christen» als Fremdbezeichnung für die Anhänger Jesu auf. Die endzeitlichen Prophetien erreichten in den Synagogen der Diaspora hellenistisch geprägte Juden. Aber der Erfolg des neuen Glaubens ging, wie Dahlheim eindrücklich beschreibt, mit der Loslösung vom Judentum einher. In Antiochien wurde zum ersten Mal das Evangelium den Heiden gepredigt. Die Universali- sierung der Heilsbotschaft ist Paulus zu verdanken, einem Repräsentanten des pharisäischen Judentums aus Tarsus in Kilikien, der Jesus als Messias und Gottes Sohn erkannt haben wollte. Paulus nahm den Missionsauftrag Jesu an und führte auf seinen Reisen Nichtjuden zum Glauben an den Auferstandenen. Er initiierte einen Prozess, der letztlich zur Trennung von Synagoge und Kirche führte. Die Christen, die an jüdischen Gebräuchen und Gesetzesvorschriften festhielten, wurden bald als «heterodox» stigmatisiert und später verfolgt.
Das Christentum fand zunächst in
den Städten seine Anhänger. Die Christianisierung des flachen Landes
schritt sehr langsam voran und war in manchen Gebieten auch in der
Spätantike noch nicht abgeschlossen. Die geografischen Zentren des
frühen Christentums waren die östlichen Provinzen des Römischen Reiches.
Hinzu kamen Nordafrika, Südspanien, das Rhonetal sowie Teile Italiens
und besonders Rom. Dagegen gab es auch im zweiten und dritten
Jahrhundert Regionen, in denen die Botschaft des Evangeliums gar nicht
oder nur wenig verkündet wurde, insbesondere in den Donauprovinzen, im
nördlichen Gallien, in Germanien und in Britannien.
Die blutigen Christenverfolgungen
interessieren Dahlheim weniger. Vielmehr beschreibt er die Vielfalt der
christlichen Gemeinden, die Entstehung der christlichen Bibel, die
Genese der christlichen Theologie, die Organisation des Gemeindelebens,
die Auseinandersetzung mit Nichtchristen und die Inkulturation des
griechisch-römischen Erbes. Ausführlich behandelt der Althistoriker die
christliche Überlieferung, die Texte der Missionsprediger, die Briefe
des Paulus, die Evangelien und die Anfänge der christlichen
Historiografie, aber auch die Welt der Wunder, der Magie und der
Märchen, die sich im christlichen Roman findet.
Die rasche Ausbreitung der
ursprünglich jüdischen Splittergruppe war keiner geplanten Strategie
geschuldet und konnte sich zunächst nicht auf eine feste Organisation
stützen. Faszinierend bleibt die Frage, weshalb der Glaube an den
Gekreuzigten siegreich war. Generationen von Gelehrten haben sich an ihr
abgearbeitet. Die Antworten sind Legion. Werner Dahlheim kennt sie
alle. Jede auf Providenz abstellende Interpretation ist ihm fremd. Das
Wirken des Heiligen Geistes sucht man in seinem Buch vergebens. Dahlheim
nennt als wichtige Faktoren die christliche Ethik, das
sozial-caritative Engagement, das Vorbild der Märtyrer. Er beschreibt,
wie die christliche Glaubenstradition schriftlich fixiert und eine
eigene Überlieferung konstituiert wurde; in einem langwierigen und
schwierigen Prozess der Kanonbildung und in endlosen innerchristlichen
Diskussionen* um zentrale theologische Aussagen gewann die christliche
Lehre ein eigenes, unverwechselbares Profil.
Literarischer Genuss
Dahlheim verweist schliesslich auf
die Wirkung der christlichen Botschaft, insbesondere auf «die Hoffnung
auf Erlösung für jeden, ob arm oder reich, und das Versprechen,
Vergebung für die in einem harten Leben gehäufte Schuld zu finden». Die
christliche Nächstenliebe zeigte nicht zuletzt deshalb Wirkung, weil sie
die desintegrativen Folgen sozialer Verwerfungen zumindest teilweise zu
kompensieren vermochte. Zugleich relativierte die durch den Glauben
vermittelte Gewissheit, eine bessere Zukunft in einer jenseitigen Welt
zu finden, die diesseitige Not zahlreicher Menschen, die am Rande der
Gesellschaft eine kärgliche Existenz fristeten.
Gewiss wird man Werner Dahlheim nicht überall folgen. Der erste christlich getaufte Kaiser Konstantin liess sich 337 sicherlich nicht als dreizehnter Apostel in seinem Mausoleum zu Konstantinopel bestatten, sondern vielmehr als christusgleicher Imperator, der sich nach antiker Tradition mit seinem siegbringenden Schutzgott identifizierte und den Platz inmitten der zwölf Apostelfürsten beanspruchte. Dem intellektuellen Gewinn und dem literarischen Genuss tut solche Widerrede keinen Abbruch. Der umfassend gebildete Historiker und der an Luthers Deutsch geschulte Autor beherrscht seinen Gegenstand und seine Sprache viel zu gut, als dass auch nur auf einer Seite Verdruss oder Langeweile aufkommen könnten.
Gewiss wird man Werner Dahlheim nicht überall folgen. Der erste christlich getaufte Kaiser Konstantin liess sich 337 sicherlich nicht als dreizehnter Apostel in seinem Mausoleum zu Konstantinopel bestatten, sondern vielmehr als christusgleicher Imperator, der sich nach antiker Tradition mit seinem siegbringenden Schutzgott identifizierte und den Platz inmitten der zwölf Apostelfürsten beanspruchte. Dem intellektuellen Gewinn und dem literarischen Genuss tut solche Widerrede keinen Abbruch. Der umfassend gebildete Historiker und der an Luthers Deutsch geschulte Autor beherrscht seinen Gegenstand und seine Sprache viel zu gut, als dass auch nur auf einer Seite Verdruss oder Langeweile aufkommen könnten.
*) Endlos - darauf kommt es an! Nämlich auf jede erreichte Stufe folgte unweigerlich die nächst höhere. Die christliche Theologie ist ein Diskurs, und dessen Träger ist das sakrale Priestertum. Ohne dies wären die christologischen Debatten der ersten Jahrhunderte Spielereien von Liebhabern gewesen, die für niemanden verbindlich waren. Aber die jüdische Splittergruppe war, durch den Anschluss an den Messias-Glauben, zur Kirche geworden. Das machte ihre Dynamik aus.
J.E.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen