Die Dynamik der Rache stoppen
Martin Zimmermann über die Gewalt in der Antike.
Von Urs Hafner
An Gewalttätigkeiten sind die griechische und die römische Götterwelt nicht arm. Man kennt sie noch immer, die Geschichten rachsüchtiger Übermenschen, die sich gegenseitig auf alle erdenklichen Weisen zur Strecke bringen. Gewalttätige Handlungen dominieren auch die antike Dichtung und Geschichtsschreibung. Physische Gewalt schliesslich dürfte damals auch im Alltag präsent gewesen sein; jedenfalls bringt man jene Zeit mit Kriegen und Schlachten in Verbindung, ganz zu schweigen von den Gladiatorenkämpfen.
Martin Zimmermann über die Gewalt in der Antike.
Von Urs Hafner
An Gewalttätigkeiten sind die griechische und die römische Götterwelt nicht arm. Man kennt sie noch immer, die Geschichten rachsüchtiger Übermenschen, die sich gegenseitig auf alle erdenklichen Weisen zur Strecke bringen. Gewalttätige Handlungen dominieren auch die antike Dichtung und Geschichtsschreibung. Physische Gewalt schliesslich dürfte damals auch im Alltag präsent gewesen sein; jedenfalls bringt man jene Zeit mit Kriegen und Schlachten in Verbindung, ganz zu schweigen von den Gladiatorenkämpfen.
Martin Zimmermann: Gewalt. Die dunkle Seite der Antike.
Deutsche Verlagsanstalt, München 2013. 395 S., Fr. 37.90.
War also die antike Welt, die Zeit
von den altorientalischen Hochkulturen des 4. Jahrtausends v. Chr.
bis zum Ende des Römischen Reichs im 5. Jahrhundert, eine gewalttätige
Welt? Martin Zimmermann verneint die Frage (während die Aufmachung
seines Buchs das Gegenteil suggeriert). Dem Althistoriker ist es ein
Anliegen, eine differenzierte Sicht auf jene Epochen zu eröffnen, in der
Götter, Pharaonen, Könige und Städte nach Belieben gegen Feinde und
Untertanen gewütet haben sollen. Differenzierungen allerdings drängen
sich nur schon aufgrund der vielen Kulturen und des langen Zeitraums
auf. Für sie alle kann es nicht nur eine Antwort - gewalttätig oder eben
nicht - geben.
Was anders war
Durch mindestens zwei Aspekte
unterscheidet sich die Antike von der Gegenwart: Erstens ist Gewalt in
und auf den überlieferten Texten und Bildern auffallend präsent. Es
waren allerdings primär die Eliten, der Adel und die Aristokratie,
welche die auf den Vasen aufgemalten Bilder und die astrologischen
Ratgeber, die philosophischen Abhandlungen, die mündlich vorgetragenen
Epen - stilbildend Homers «Ilias» - und die auf der Bühne aufgeführten
Tragödien rezipierten. Was ein ägyptischer Taglöhner über Gewalt dachte,
ist kaum auszumachen. Zweitens war Mitleid keine Tugend, auch wenn
nicht jede Gewalt als gut galt. Angesichts des malträtierten Feindes
sollte der Betrachter kein Mitgefühl entwickeln, im Gegenteil: Der
qualvolle Tod durfte Freude bereiten. Als «Gewalt» übrigens gilt dem
Historiker, der den Begriff nicht definiert, die Verletzung der
physischen Integrität eines Menschen durch einen anderen.
Zimmermanns Hauptanliegen geht
dahin, zu zeigen, dass die in den Texten geschilderten
Gewalttätigkeiten, die von ihm anregend diskutiert, aber zusammen mit
ihrem Kontext etwas langatmig referiert werden, nicht auf reale
Geschehnisse verwiesen. Vielmehr habe man es bei den Ereignissen, die in
ihrer Drastik noch immer erschüttern und befremden (austretende
Körperflüssigkeiten, auch die des Hirns, zersplitternde Knochen,
ausgerissene Augen, in den After getriebene Pfähle usw.), mit
literarischen Topoi zu tun, die über Jahrhunderte tradiert und von den
jeweiligen Autoren für politische Zwecke eingesetzt und reflektiert
worden seien.
Der Zweck der Gewaltdarstellungen
Nach Zimmermann sollte zwar
manchmal - vor allem im spätrömischen Reich - das Publikum mit
schauerlichen Reizen ergötzt werden, doch meist dienten die
Gewaltschilderungen dazu, legitime von illegitimen Ordnungen und
statthafte von unstatthaften Handlungen zu unterscheiden, je nachdem,
wessen Taten wie beschrieben und bewertet wurden. Gewaltszenen hatten
den Zweck, die Stärke und Tapferkeit der eigenen Gemeinschaft zu
demonstrieren und dieser das Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Gerade
in friedlichen Zeiten sollte der Kontrast des Geschilderten die
bestehende Ordnung in ein gutes Licht stellen. Es waren in der Regel die
Fremden oder Gegner - bei den Griechen die verhassten Perser und
Orientalen, im römischen Kaiserreich ein Tyrann wie Nero -, die durch
einen verachtenswerten Umgang mit Gewalt auffielen, sich also
bestialisch und unzivilisiert aufführten.
Über den langen Zeitraum
beobachtet Zimmermann das allmähliche Entschwinden der Götter aus den
Gewaltszenerien. Parallel dazu sei das Bewusstsein dafür gewachsen, dass
der Mensch dem Rasen der Götter nicht ausgeliefert sei, sondern die
politische Ordnung selbst gestalten und die Dynamik der Rache stoppen
könne. Diese Entwicklung freilich habe der Überbietungslogik der
Schilderungen keinen Abbruch getan. Auch die Christianisierung habe
daran nichts geändert, sondern sogar eine weitere Steigerung gebracht,
indem sie über die Märtyrer den Genuss der erlittenen Grausamkeiten
etabliert habe.
Und was will der Autor sagen?
Das Buch macht den Leser zwar mit
vielen interessanten Texten und einigen theoretischen Überlegungen
bekannt, lässt ihn aber etwas ratlos zurück, weil ihm eine überzeugende
Stossrichtung fehlt. Dass Texte, wie der Autor betont, nicht «direkt»
auf die Realität verweisen, ist unbestritten. Das Argument, dass der
Mensch neurobiologischen Untersuchungen gemäss keine genetische
Disposition zur Gewalt besitze, sondern dass er erst dann gewalttätig
werde, wenn die sozialen Grundlagen der Kooperation gestört würden,
bleibt blass. Die Widerlegung Sigmund Freuds und - im gleichen Atemzug -
Konrad Lorenz' durch die Hirnforschung wirkt salopp. Und die
medienkritische Reflexion, dass man den Bildern - auch den heutigen -
nicht trauen und auch aufgrund von Fotos nicht sagen könne, was sich
wirklich abgespielt habe, auch sie ist schon des Öfteren vernommen
worden.
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