Montag, 9. September 2019

Das Indogermanische stammt aus Mittelasien.

Steppe in Mittelasien
aus Die Presse, Wien,


Genetik trifft auf Linguistik und Archäologie
Indoeuropäische Sprachen kamen aus der Steppe.

Wer lebte vom Mesolithikum bis zur Eisenzeit, also vor 12.000 bis 2000 Jahren, in Zentral- und Südasien? Wie verbreiteten sich die indoeuropäischen Sprachen, die heute von den Britischen Inseln bis nach Indien gesprochen werden? Und wie verlief der Übergang von der Jäger- und Sammlerkultur zur Landwirtschaft? Diese Fragen versuchte ein internationales Team von Genetikern, Archäologen und Anthropologen, darunter auch Ron Pinhasi von der Uni Wien, zu beantworten.


In der größten jemals durchgeführten Studie alter menschlicher DNA analysierten die Wissenschaftler die Genome von 524 bisher nie untersuchten prähistorischen Individuen aus Zentral- und Südasien (Science, 6. 9.). Das Erbgut wurde miteinander und mit zuvor sequenzierten Genomen verglichen sowie mit archäologischen, sprachlichen und historischen Aufzeichnungen kontextualisiert.

Viehzüchter in der Steppe
 
In Bezug auf die Ausbreitung der indogermanischen Sprachen erbrachte die Studie eine überzeugende Neuerkenntnis: Nicht anatolische Bauern verbreiteten diese nach West und Ost (so eine gängige Hypothese), die neue Beweislinie spricht eher für einen Steppenursprung der Sprachfamilie: Sowohl der indoiranische als auch der baltoslawische Zweig stammt aus einer Untergruppe von Steppenviehzüchtern.

Menschen aus Anatolien brachten uns in Europa also nicht die Sprachen, bekanntermaßen aber die Landwirtschaft. Ähnliches gilt, auch das zeigt die neue Studie, für den Iran und Zentralasien. Anders in Südasien: Hier kann die Ausbreitung der Landwirtschaft nicht auf Zuwanderung von Menschen aus den früheren Bauernkulturen des Westens zurückgeführt werden. (cog)



aus derStandard.at,  9. September 2019
 
Steppenvölker
Rätsel um Herkunft der indoeuropäischen Sprachen könnte gelöst sein
Die bislang größte DNA-Studie wirf ein neues Licht auf die prähistorische Wanderbewegung der Menschen in Europa, Zentral- und Südasien
Im fernen Osten Kasachstans unter den Hängen des Dsungarischen Alatau, einem Hochgebirge an der Grenze zu China, lag vor über 5.000 Jahren eine Ansiedlung. Die Überreste der Ausgrabungsstätte Dali, die Archäologen seit Jahren untersuchen, lassen auf damals erstaunlich weit reichende Handelsbeziehungen dieses Ortes schließen. So belegen Genanalysen tierischer Knochenfunde von dort, dass die Nachfahren der ersten im Nahen Osten domestizierten Schafe und Ziegen Zentralasien um 2700 vor unserer Zeitrechnung erreicht haben. Die Hirse, die sie an ihre Nutztiere verfütterten, stammte dagegen aus China.

Der Einzug der Herdentierhaltung machte auch eine höhere Mobilität notwendig: Den Jahreszeiten folgend zogen die Menschen häufig zwischen unterschiedlichen Weideplätzen umher. Dabei wird es wohl auch vermehrt zu überregionalen Kontakten gekommen sein. Dali dürfte von seiner Lage am sogenannten innerasiatischen Gebirgskorridor, einer uralten Wanderroute vom Altai in Siberien bis zum Hindukusch, besonders profitiert haben.


Gräber wie dieses in der archäologischen Fundstätte Dali, Ostkasachstan, lieferten deutliche Hinweise auf umfassende Wanderbewegungen während der Bronzezeit.
Hinweise auf umfangreiche Wanderbewegungen

Das zumindest lassen DNA-Untersuchungen menschlicher Gebeine aus dieser Zeit vermuten. Die von einem Team um Michael Frachetti von der Washington University an Funden aus Dali durchgeführten Analysen weisen das prähistorische Dali gar als Indikator für einen interkontinentalen kulturellen und genetischen Wandel zwischen der frühen und späten Bronzezeit aus: Unter den Vorfahren der an diesem Ort beigesetzten Menschen befanden sich gleichermaßen nordeuropäische Jäger und Sammler wie Landwirtschaftstreibende aus dem Iranischen Hochland.

Dali repräsentiert freilich nur ein winziges Steinchen des komplexen dynamischen Mosaiks vorgeschichtlicher Populationsverhältnisse in Europa und Asien. Eine Vielzahl neuer Puzzelteile konnte nun eine internationale Gruppe mit einer umfassenden Vergleichsstudie quer über den Doppelkontinent hinweg beisteuern. Diese bislang größte Untersuchung alter menschlicher DNA, an der auch Wissenschafter um Ron Pinhasi von der Universität Wien beteiligt waren, ergab völlig neue Details darüber, welche Bevölkerungsgruppen vor 12.000 bis 2.000 Jahren in Zentral- und Südasien lebten und wie sie sich untereinander vermischt haben.


Eine weitere Beisetzung in Dali. DasGrab wurde vermutlich in antiker Zeit geplündert, die menschlichen Gebeine blieben zum Glück für die Archäologen und Genetiker jedoch erhalten.
Konkret analysierten die Archäologen, Genetiker und Anthropologen bei dem integrativen Großprojekt die Genome von 524 zuvor noch nie untersuchten Individuen. Die Resultate wurden untereinander und mit früher sequenziertem Erbgut verglichen und mit archäologischen, sprachlichen und historischen Informationen in Zusammenhang gebracht. Zwei außergewöhnliche kulturelle Veränderungen standen dabei im Zentrum der Studie: der Wandel von der Jäger- und-Sammler-Kultur zur Landwirtschaft und die Ausbreitung der indoeuropäischen Sprachen.

Große Sprachfamilie mit unklaren Wurzeln

Mit über 400 Mitgliedern gelten die Indoeuropäischen Sprachen als die größte Sprachfamilie der Welt. Zu ihr zählen Hindi/Urdu, Bengali und Persisch ebenso wie die slawischen Sprachen, Englisch, Spanisch oder Gälisch. Wie sich Abkömmlinge dieser Sprachgruppe so weit ausbreiten konnten, wird bis heute in der Fachwelt diskutiert. Eine Möglichkeit, die "Steppe-Hypothese", geht davon aus, dass die Sprache von Hirten aus der eurasischen Steppe in die Welt hinausgetragen wurde. Die "Anatolische Hypothese" dagegen setzt auf frühe Bauern, die von der heutigen Türkei nach Osten und Westen zogen.

Das im Fachjournal "Science" vorgestellte Ergebnis der aktuellen Genstudie favorisiert für Südasien klar die "Steppe-Hypothese". "Wir können eine Ausbreitung von Bauern mit anatolischen Wurzeln nach Südasien ausschließen", sagt David Reich von der Harvard Medical School. "Das ist ein Schachmatt für die anatolische Hypothese." Die DNA-Analyse zeigt demnach vielmehr, dass der balto-slawische und der indo-iranische Zweig der indoeuropäischen Sprachgruppe aus einer Untergruppe von Steppen-Viehzüchtern stammen, die sich vor fast 5.000 Jahren nach Europa aufgemacht hat. Innerhalb der folgenden 1.500 Jahre wanderten die Nachfahren dieser Population wieder ostwärts nach Zentral- und Südasien zurück.


In den zentralasiatischen Steppen dürften die Wurzeln der indoeuropäischen Sprachfamilie liegen. Von hier aus verbreiteten Viehzüchter sie nach Europa.
Brahmanen mit Steppenursprung

Ein weiterer Hinweis, der laut den Forschern gegen die Anatolien-Hypothese spricht, ist, dass sich genetische Spuren der einstigen Steppenbewohner heute vor allem in einigen Bevölkerungsgruppen Südasiens nachweisen lassen, deren Mitglieder in früheren Zeiten oft als Priester fungierten. Darunter finden sich etwa die Brahmanen, die sich als die traditionellen Hüter der Veden sehen, also jener religiöser Texte, die in der alten indoeuropäischen Sprache Sanskrit verfasst wurden. "Die Feststellung, dass Brahmanen mehr Steppen-Abstammung haben als andere Gruppen in Südasien, liefert ein faszinierendes neues Argument für einen Steppenursprung der indoeuropäischen Sprachen in Südasien", so Reich.

Auch auf eine andere spannende Frage konnten mit der Studie Antworten gefunden werden: Bisher war unklar, ob Landwirtschaft durch Kopieren von Ideen und Techniken ihre Ausbreitung über Eurasien fand oder Populationsbewegungen die treibenden Kräfte dahinter waren. Für Europa haben die DNA-Studien nun ergeben, dass die frühen Ackerbauern ihre Fähigkeiten zusammen mit Einwanderern aus Anatolien mitbrachten. Im Iran und in Zentralasien zeigt sich eine ähnliche Dynamik. Auch dort kamen Menschen anatolischer Abstammung und die Landwirtschaft ungefähr zur gleichen Zeit an. Die Verbreitung des Ackerbaus in diesen Regionen wurde also auch durch Wanderbewegungen der Menschen angetrieben.


Die Studie konnte auch zeigen, dass Angehörige der bronzezeitlichen Indus-Kultur – hier ein rund 4.000 Jahre altes Grab – Vorfahren vieler noch heute in Indien lebender Menschen waren.
Keine anatolischen Vorfahren in Südasien

Ganz anders sah die Situation dagegen in Südasien aus: Die Wissenschafter entdeckten dort keinerlei Hinweise auf Menschen mit anatolischen Vorfahren. Die Forscher schließen daraus, dass die Landwirtschaft in Südasien nicht auf die Zuwanderung von Menschen zurückzuführen ist – jedenfalls nicht auf Menschen aus den früheren Bauernkulturen des Westens. Stattdessen nahmen die lokalen Bevölkerungen diese Wirtschaftsform vermutlich von außen an. "Vor der Ankunft der Steppen-Viehzüchter, die ihre indoeuropäischen Sprachen vor viertausend Jahren brachten, finden wir keine Hinweise auf große Bevölkerungsbewegungen nach Südasien", so Reich. (tberg, red,)

 

Abstracts

 
Nota. - In der Wissenschaft gilt die Regel, dass ein Phänomen mit dem Namen benannt wird, den ihm der Forscher gab, der es erstmals beschrieben hat (Deshalb ist Coffein im Tee und kein Tein). Die Familie von Sprachen, die von Island bis Indien gesprochen werden, nannten die Brüder Grimm indo-germanisch - nach ihren westlichsten bis östlichsten Varianten. 'Germanisch' war nach dem Krieg verpönt. Aber die Isländer sprechen ein nordgermanisches Idiom und kein west-indoeuropäisches.
JE

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