aus nzz.ch, 13.7.2019
Die schleichende Verstaatlichung der Familie
Der
Staat erobert als vermeintlicher Garant von Kinderrechten und
Chancengleichheit Schritt für Schritt seinen Platz am Familientisch und
mischt sich zunehmend in höchstpersönliche Belange ein.
Im
modernen Chinesisch setzt sich das Wort für Nationalstaat aus zwei
Zeichen zusammen: dem Zeichen für Reich und dem Zeichen für Familie. Das
Wort ist wie sein japanisches Pendant eine Schöpfung aus dem
19. Jahrhundert. Schliesslich gab es im alten China das Konzept des
Nationalstaates nicht, weshalb auch ein Wort dafür fehlte. Die moderne
Bezeichnung für Nationalstaat kommt indes nicht von ungefähr. Sie ist
ihrerseits aus alten chinesischen Quellen entlehnt, und sie illustriert
das enge Verhältnis zwischen Familie und Staat in der konfuzianischen
Kultur.
Nun
ist das mitnichten ein Verhältnis, wie es der Vorstellung des
Wohlfahrtsstaats europäischer Prägung entspricht. Der Staat ist hier
nicht der sich stets Kümmernde, Allwissende und Segenbringende, die
Familie nicht die ewig Hilfsbedürftige. Vielmehr wird die Organisation
der Familie als Gleichnis für den idealen Staat gesehen. So heisst es –
in der Übersetzung von Richard Wilhelm – beim Philosophen Menzius: «Die
Wurzeln des Weltreichs sind im Einzelstaat, die Wurzeln des Staates sind
in der Familie, die Wurzeln der Familie sind in der einzelnen Person.»
Das
könnte man so verstehen, dass die gut geführte Familie die Grundlage
des gut geführten Staates bildet. Der Staat ist moralisch wie
strukturell idealiter ein Abbild der Familie. Die Familie reguliert also
den Staat. Beim modernen Wohlfahrtsstaat ist es umgekehrt. Hier
definiert der Staat mit zunehmender Vehemenz, wie die ideale Familie
auszusehen hat. Und er gerät angesichts dieser Aufgabe nahezu in einen
Regulierungsrausch.
Das
vermeintliche Geschenk eines Vaterschaftsurlaubs zum Beispiel soll den
Vätern nicht nur mehr Zeit mit dem Nachwuchs ermöglichen, es will sie
auch zu braveren Hausmännern umerziehen. In die familieninterne
Arbeitsteilung hat sich der liberale Staat aber genauso wenig
einzumischen wie in den häuslichen Menuplan; das ist Privatsache.
Mit
der familienexternen Kinderbetreuung verhält es sich ähnlich. Im Namen
der Chancengleichheit wollen ihre Verfechter die Erziehung von
Kleinkindern schon möglichst ab Geburt in die Hände von Profis legen.
Profis ist offenbar mehr zu trauen als den «Amateuren», um eine
Bezeichnung zu verwenden, mit der André Woodtli, Chef vom Amt für Jugend
und Berufsberatung des Kantons Zürich, am Radio Eltern etikettiert.
Woodtli ist Vizepräsident der von SP-Nationalrätin Yvonne Feri
präsidierten Stiftung Kinderschutz Schweiz, die ihrerseits Teil des
Netzwerkes Kinderrechte ist. Dieses Netzwerk will die Kinderrechte – und
damit den Staat – stärken und hat beim Uno-Kinderrechtsausschuss soeben
eine Liste mit «fast 50 dringlichen Themen» hinterlegt, bei denen es in
der Schweiz «grossen Handlungsbedarf» im Bereich Kinderrechte
feststellt.
Die
Familienpolitik ist nur bedingt Ausdruck staatlichen Wohlwollens. Im
Grunde ist sie geprägt von einem tiefen Misstrauen der Classe politique
gegenüber der Familie als Ort der Geborgenheit, Erziehung und
Sozialisation oder als Keimzelle von Staat und Gesellschaft. Anders kann
man die Heilssuche im Staat nicht verstehen. Bei vielen
familienpolitischen Ideen handelt sich um eine Anmassung von Wissen im
klassischen Sinne Hayeks. Der Staat und seine Profis massen sich an,
familiäre Angelegenheiten grundsätzlich besser regeln zu können als die
Familie selber.
«Regieren
ist nicht schwer», heisst es bei Menzius weiter. Man dürfe nur die
Familien nicht verärgern. Gewiss hatte Menzius vor 2300 Jahren einen
anderen Begriff von Familie als wir. Aber vielleicht sollte man in Bern
und zugewandten Orten trotzdem etwas mehr von ihm über Regierungskunst
lesen.
Nota. - Aus gegebenem Anlass denke ich darübere nach, was heute sinvoll konservativ heißen könnte. Obiges vielleicht? Die Neue Zürcher ist ein liberal-konservatives Blatt, mal mehr das eine, dann mehr das andre. Doch diesen Beitrag kann ich guten Gewissens wiedergeben, der polemische Unterton stört mich gar nicht mal. Ob ich bei meiner Suche Gewichtigeres auftreiben werde, muss sich erst noch zeigen.
JE
Nota. - Aus gegebenem Anlass denke ich darübere nach, was heute sinvoll konservativ heißen könnte. Obiges vielleicht? Die Neue Zürcher ist ein liberal-konservatives Blatt, mal mehr das eine, dann mehr das andre. Doch diesen Beitrag kann ich guten Gewissens wiedergeben, der polemische Unterton stört mich gar nicht mal. Ob ich bei meiner Suche Gewichtigeres auftreiben werde, muss sich erst noch zeigen.
JE
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