Mittwoch, 4. September 2019

Die Verstaatlichung der Familie.


aus nzz.ch, 13.7.2019

Die schleichende Verstaatlichung der Familie
Der Staat erobert als vermeintlicher Garant von Kinderrechten und Chancengleichheit Schritt für Schritt seinen Platz am Familientisch und mischt sich zunehmend in höchstpersönliche Belange ein.

von Claudia Wirz

Im modernen Chinesisch setzt sich das Wort für Nationalstaat aus zwei Zeichen zusammen: dem Zeichen für Reich und dem Zeichen für Familie. Das Wort ist wie sein japanisches Pendant eine Schöpfung aus dem 19. Jahrhundert. Schliesslich gab es im alten China das Konzept des Nationalstaates nicht, weshalb auch ein Wort dafür fehlte. Die moderne Bezeichnung für Nationalstaat kommt indes nicht von ungefähr. Sie ist ihrerseits aus alten chinesischen Quellen entlehnt, und sie illustriert das enge Verhältnis zwischen Familie und Staat in der konfuzianischen Kultur.


Nun ist das mitnichten ein Verhältnis, wie es der Vorstellung des Wohlfahrtsstaats europäischer Prägung entspricht. Der Staat ist hier nicht der sich stets Kümmernde, Allwissende und Segenbringende, die Familie nicht die ewig Hilfsbedürftige. Vielmehr wird die Organisation der Familie als Gleichnis für den idealen Staat gesehen. So heisst es – in der Übersetzung von Richard Wilhelm – beim Philosophen Menzius: «Die Wurzeln des Weltreichs sind im Einzelstaat, die Wurzeln des Staates sind in der Familie, die Wurzeln der Familie sind in der einzelnen Person.»

Das vermeintliche Geschenk eines Vaterschaftsurlaubs zum Beispiel soll den Vätern nicht nur mehr Zeit mit dem Nachwuchs ermöglichen, es will sie auch zu braveren Hausmännern umerziehen. 

Das könnte man so verstehen, dass die gut geführte Familie die Grundlage des gut geführten Staates bildet. Der Staat ist moralisch wie strukturell idealiter ein Abbild der Familie. Die Familie reguliert also den Staat. Beim modernen Wohlfahrtsstaat ist es umgekehrt. Hier definiert der Staat mit zunehmender Vehemenz, wie die ideale Familie auszusehen hat. Und er gerät angesichts dieser Aufgabe nahezu in einen Regulierungsrausch.

Das vermeintliche Geschenk eines Vaterschaftsurlaubs zum Beispiel soll den Vätern nicht nur mehr Zeit mit dem Nachwuchs ermöglichen, es will sie auch zu braveren Hausmännern umerziehen. In die familieninterne Arbeitsteilung hat sich der liberale Staat aber genauso wenig einzumischen wie in den häuslichen Menuplan; das ist Privatsache.

Mit der familienexternen Kinderbetreuung verhält es sich ähnlich. Im Namen der Chancengleichheit wollen ihre Verfechter die Erziehung von Kleinkindern schon möglichst ab Geburt in die Hände von Profis legen. Profis ist offenbar mehr zu trauen als den «Amateuren», um eine Bezeichnung zu verwenden, mit der André Woodtli, Chef vom Amt für Jugend und Berufsberatung des Kantons Zürich, am Radio Eltern etikettiert. Woodtli ist Vizepräsident der von SP-Nationalrätin Yvonne Feri präsidierten Stiftung Kinderschutz Schweiz, die ihrerseits Teil des Netzwerkes Kinderrechte ist. Dieses Netzwerk will die Kinderrechte – und damit den Staat – stärken und hat beim Uno-Kinderrechtsausschuss soeben eine Liste mit «fast 50 dringlichen Themen» hinterlegt, bei denen es in der Schweiz «grossen Handlungsbedarf» im Bereich Kinderrechte feststellt.

Die Familienpolitik ist nur bedingt Ausdruck staatlichen Wohlwollens. Im Grunde ist sie geprägt von einem tiefen Misstrauen der Classe politique gegenüber der Familie als Ort der Geborgenheit, Erziehung und Sozialisation oder als Keimzelle von Staat und Gesellschaft. Anders kann man die Heilssuche im Staat nicht verstehen. Bei vielen familienpolitischen Ideen handelt sich um eine Anmassung von Wissen im klassischen Sinne Hayeks. Der Staat und seine Profis massen sich an, familiäre Angelegenheiten grundsätzlich besser regeln zu können als die Familie selber.

«Regieren ist nicht schwer», heisst es bei Menzius weiter. Man dürfe nur die Familien nicht verärgern. Gewiss hatte Menzius vor 2300 Jahren einen anderen Begriff von Familie als wir. Aber vielleicht sollte man in Bern und zugewandten Orten trotzdem etwas mehr von ihm über Regierungskunst lesen.


Nota. - Aus gegebenem Anlass denke ich darübere nach, was heute sinvoll konservativ heißen könnte. Obiges vielleicht? Die Neue Zürcher ist ein liberal-konservatives Blatt, mal mehr das eine, dann mehr das andre. Doch diesen Beitrag kann ich guten Gewissens wiedergeben, der polemische Unterton stört mich gar nicht mal. Ob ich bei meiner Suche Gewichtigeres auftreiben werde, muss sich erst noch zeigen.
JE


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