Dienstag, 3. September 2019

Der Kulturbruch der Christianisierung.

aus welt.de, 2. 9. 2019

Man riss ihr die Kleider vom Leib und enthäutete sie
Mit Terrormilizen forderte der Patriarch von Alexandria um 415 n. Chr. die oströmische Staatsmacht heraus. Prominentestes Opfer wurde die Philosophin Hypatia, die in einer Kirche hingemetzelt wurde.
 


Ursprünglich waren die Parabalani ziemlich mutige Leute gewesen. Als „Ruchlose“ setzten sie ihr Leben aufs Spiel, um während einer Epidemie die Sterbenden und Toten zu den Hospitälern und auf die Friedhöfe zu tragen. Es handelte sich um junge Christen, die im Vertrauen auf Gott dieses lebensgefährliche Wagnis in den ersten Jahrhunderten nach Christi Geburt auf sich nahmen, während die heidnischen Behörden allenfalls Sklaven zu diesem Dienst verpflichten konnten.

Doch nachdem das Christentum im 4. Jahrhundert zur privilegierten und Staatsreligion des Römischen Reiches aufgestiegen war, änderte sich das. Aus Krankenpflegern wurden Schläger und Terroristen. Sie lieferten sich untereinander „Straßenschlachten mit Toten und Verwundeten“, wenn sie zum Beispiel verfeindete Kandidaten für einen Bischofsstuhl unterstützten, berichtet der Historiker Ammianus Marcellinus. Aber noch rücksichtsloser attackierten sie Menschen, die ihren Glauben nicht teilten.


Eines ihrer berühmtesten Opfer war die alexandrinische Mathematikerin und Philosophin Hypatia (um 355–415). Ihren Fall hat die britische Journalistin Catherine Nixey jetzt in ihrem neuen Buch „Heiliger Zorn“ als Beispiel für ihre These ausgebreitet, dass „die frühen Christen die Antike zerstörten“. Denn viele Gläubige hatten Jesu Botschaft von Nächstenliebe und Toleranz längst mit der fanatischen Überzeugung vertauscht, dass nur die brutale Durchsetzung der christlichen Lehre das himmlische Paradies erreichen ließ.

Die Parabalani waren in vielerlei Hinsicht der Bodensatz der spätrömischen Gesellschaft, schreibt Nixey. „Sie waren arm und ungebildet, konnten nicht einmal lesen – und sie waren viele.“ Allein in der Weltstadt Alexandria zählte man ihre Zahl auf 800 gewaltbereite Schläger, die aus dem mönchischem Milieu des Orients jederzeit Nachwuchs für ihren „terroristischen Wohltätigkeitsverein“ erwarten konnten. Ihre Herkunft wirft im Übrigen ein Licht auf die sozialen Ursachen des Glaubenskampfes.

Mit dieser Privatarmee im Rücken hatten die Patriarchen der ägyptischen Hauptstadt – die mit den Bischöfen von Rom, Konstantinopel, Antiochia und Jerusalem den Vorrang in der Führung der christlichen Gemeinde beanspruchten – den weltlichen Statthaltern Ostroms längst das Gewaltmonopol entwunden. Kyrillos I., der 412 den Patriarchenthron bestiegen hatte, war bereit, den Machtkampf auf die Spitze zu treiben.

Ihren rücksichtslosen Fanatismus hatten die Prabalani bereits mit dem Bildersturm unter Beweis gestellt, mit dem sie den Befehl von Kaiser Theodosius I., die heidnischen Kultstätten zu schließen, in die Tat umsetzten. Tempel, Altäre, Standbilder wurden zerstört, Anhänger der alten Götter verfolgt und nicht selten genug bestialisch ermordet. Damals sollen auch die Reste der berühmten Bibliothek, einst der größte Wissenshort der Antike, in Flammen aufgegangen sein.

Dennoch blieb Alexandria ein Zentrum der Wissenschaften. Das verdankte die Stadt den zahlreichen Gelehrten, die in den besseren Quartieren der Stadt weiterhin ihren Studien nachgingen. Zu diesem Kreis gehörte auch Hypatia. Bereits ihr Vater Theon hatte hier als Mathematiker gelehrt. Die Tochter folgte seinem Beispiel und gewann zahlreiche Schüler, die aus dem ganzen Reich nach Alexandria kamen, um sie zu hören. „Man liebte sie und hielt außergewöhnliche Stücke auf sie“, berichtet der Neuplatoniker Damaskios in seiner Philosophiegeschichte.

Von ihren Werken ist nichts erhalten. Einige Berichte verdanken wir Zeitgenossen und späteren Autoren. So unterrichtete Hypatia auch Philosophie und kommentierte die Werke Platons und Aristoteles’. Aufsehen erregte sie durch ihre moralische Strenge, die manche als Hang zum Kynismus deuteten, einer Denkrichtung, deren Anhänger sich durch Bedürfnislosigkeit hervortaten. So soll sie einen Schüler, der ihr seine Liebe beichtete, ihre Monatsbinden mit den Worten zugeworfen haben: „Das hier liebst du, junger Mann, da ist nichts Schönes dran.“

Als vermögende Wissenschaftlerin, heidnische Denkerin und nicht zuletzt als Frau war Hypatia für die christlichen Fanatiker eine Provokation. Hinzu kam, dass sie offenbar gute Beziehungen zum Statthalter Orestes unterhielt. Damit geriet sie in den Machtkampf, den der Patriarch Kyrillos entfesselte.

Der galt selbst gemäßigten Christen als „ein Ungeheuer, dazu geboren und ausgebildet, die Kirche zu zerstören“, wie es ein Mitglied der kirchlichen Hierarchie formulierte. Kyrillos’ erstes Opfer wurden die Juden Alexandrias. Den Boden dafür hatte der berühmte Patriarch von Konstantinopel Johannes Chrysostomos bereitet, der Ende des 4. Jahrhunderts gepredigt hatte: „Die Synagoge ist nicht nur ein Bordell … sie ist eine Räuberhöhle, eine Behausung für wilde Tiere.“

In diesem Sinn stürmten die Parabalani und der ihnen folgende Mob die Viertel der Juden, vertrieben die Bewohner und raubten ihren Besitz. Orestes war weder Willens noch imstande, gegen die fanatischen Horden „von hitziger Gesinnung“ vorzugehen, wie ein Zeitzeuge sie beschrieb. Doch als der Statthalter selbst Opfer eines Angriffs wurde, schlug er zurück. Der Täter, ein Mönch, wurde hingerichtet.

Nun geriet Hypatia ins Visier von Kyrillos und seinen Leuten. Sie habe „mit ihrer satanischen List viele Menschen bezirzt“, begründete ein Chronist die Wut der Parabalani, vor allem weil einer der Verhexten Orestes gewesen sei. Das hatte Folgen.

Als Hypatia an einem Märztag des Jahres 415 ihr Haus verließ, versperrte ihr „eine Ansammlung Gottesfürchtiger“, so die Deutung eines nachgeborenen Bischofs, den Weg. Sie wurde ergriffen und in eine Kirche geschleift. Dort riss man ihr die Kleider vom Leib und enthäutete sie mit den Scherben zerbrochener Tontöpfe, schreibt Nixey: „Manche sagen, die Angreifer hätten ihr die Augen ausgestochen, während sie noch nach Luft schnappte.“ Anschließend wurde ihre Leiche zerstückelt und verbrannt. Kyrillos blieb unbehelligt, amtierte bis zu seinem Tod 444 und wird heute noch als Kirchenlehrer verehrt.

So starb die große Mathematikerin Alexandrias. Ihre Werke wurden zerstreut und sind verschollen. Aber ihr Beispiel lieferte spätestens in der Aufklärung reichlich Stoff für antikirchliche Kritik. Feministinnen gingen noch weiter und sahen sie als Opfer männlicher Unterdrückungsmuster. In dem Film „Agora – Die Säulen des Himmels“ (2009) des spanischen Oscar-Preisträgers Alejandro Amenábar wurde sie von Rachel Weisz verkörpert. Darin weist Hypatia das Angebot des Orestes, mit der Taufe den Nachstellungen zu entgehen, mit den Worten zurück: „Kyrill hat schon gewonnen.“

Catherine Nixey: „Heiliger Zorn. Wie die frühen Christen die Antike zerstörten“. (A. d. Engl. v. Cornelius Hartz. DVA, München. 397 S., 25 Euro)


Nota. - Wirklich untergegangen ist die Antike nur in Europa - während der Völkerwanderung, die zur Christia- nisierung der Germanen führte. Und da waren es die verbliebenern Rudimente der römischen Kirche - die Bi- schofssitze, einige Klöster -, die einen Grundbestand antiker Bildung in die Neue Zeit hinüberretteten.

In Vorderasien und Nordafrika war das anders. Da war keine Völkerwanderung, das oströmische Reich hielt stand, und als der Islam aufkam, konnte er lückenlos ans antike Erbe anschließen. Er hat es mehrere Jahrhunder- te ehrenvoll bewahrt. Doch Anlass zu einem Neubeginn fand sich nicht. Nach den Kreuzzügen gab es nurmehr politischen Zerfall und kulturelle Stagnation.

JE

 

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