Sonntag, 22. September 2019

Das Ressentiment und seine Profiteure.


aus FAZ.NET, 21.09.2019

Woher die schlechte Laune? 

Ein Kommentar von Frank Pergande, Berlin 

Steht es dreißig Jahre nach dem Ende der DDR wirklich so schlimm mit der deutschen Einheit und dem Osten? Nein. Die krasse Fehleinschätzung hat auch etwas mit denen zu tun, die heute die politische Meinung im Osten mitprägen.

Was Politiker und Wissenschaftler derzeit über den Osten mitzuteilen haben, klingt nicht gut. Kritisiert wird, dass ostdeutsche Biographien nicht genügend anerkannt würden, Löhne und Renten zu schlecht ausfielen, Altersarmut drohe. Es ist die Rede von Übernahme durch den Westen, Demütigung, gesellschaftlichen Frakturen, neue Spaltungslinien, Verbitterung, Unmut, Fliehkräften. Man reibt sich die Augen. Schon der bloße Augenschein widerlegt solche Reden.

Die blühenden Landschaften sind da, im übertragenen wie im Wortsinne. Die Wirtschaft wächst genau wie Lebensqualität und Einkommen. Die Renten im Osten sind höher als die im Westen. Altersarmut ist eher ein West-Problem, auch wenn immer wieder das Gegenteil behauptet wird. Die Infrastruktur im Osten ist oft besser als im Westen. Der Osten ist lebendig, liebens- und lebenswert. Nicht überall, klar. Es gibt, wie heute gern gesagt wird, „abgehängte Regionen“. Aber das gilt genauso für den Westen – und ist politisch längst als großes Thema erkannt.

Woher also kommt die krasse Fehleinschätzung, im Osten sei alles düster, perspektivlos und womöglich auch noch politisch braun oder wenigstens blau? Und schuld sei der Westen? Eine Antwort findet sich, wenn man auf jene schaut, die heute die politische Meinung im Osten mitprägen. Etwa Manuela Schwesig, die Ministerprä- sidentin von Mecklenburg-Vorpommern. Oder Martin Dulig, der Wirtschaftsminister in Sachsen. Aber auch Christian Hirte, der Ost-Beauftragte der Bundesregierung.

Oder der Soziologe Stefan Mau und der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk, die beide soeben bemerkenswerte Studien über den Osten vorgelegt haben. Sie alle sind so jung, dass sie die DDR nur noch als Kinder oder junge Erwachsene erlebt haben. Sie haben deshalb wenig Erfahrungen mit dem, was die DDR wirklich war. Dafür umso mehr mit dem schwierigen Übergang in den neunziger Jahren, mit Lebensumbrüchen, Massenarbeitslo- sigkeit und Treuhand. Ihnen fehlt die sinnliche Erfahrung, dass all das weniger das Ergebnis einer kalten westlichen Übernahme war, sondern vielmehr der DDR geschuldet ist, einem Gesellschaftssystem, das über Jahrzehnte hinweg stillstand und mit dem Mauerfall von jetzt auf gleich seine Bewohner unvorbereitet in die westliche Globalisierung entließ.

Man höre nur einmal Schwesig, Dulig oder Hirte zu, wenn sie von der DDR sprechen. Es klingt wie angelesen oder von anderen erzählt. Aber wenn sie von der Zeit nach der Wiedervereinigung reden, schwingt Persönliches mit, im Positiven wie im Negativen. Das ist kein Vorwurf, sondern der normale Lauf der Zeit. Auch die Studien von Mau und Kowalczuk sind unbedingt empfehlenswert. Aber etwas mehr Stolz darauf, dass das DDR-Erbe immer mehr verschwindet, wäre schon angemessen. Und vielleicht auch der Hinweis, dass nichts einfach so aus dem Westen kommt wie früher die Pakete. Dort, wo die Leute ihre Geschicke selbst in die Hand genommen haben, wächst etwas; wer nur wartet, wird immer enttäuscht. Der Ost-Beauftragte Hirte zieht am Ende doch den richtigen Schluss. Er sagt mit Blick auf die ostdeutsche Entwicklung, mehr gute Laune und Zuversicht würden dem Osten schon guttun. Recht hat er.


Nota. -  Das Ressentiment ist real, das gibt es wirklich. Aber es wäre längst am Schwinden, wenn nicht die, die es zu bekämpfen berufen sind, ihren Vorteil darin fänden, es anzufachen und auszuschlachten; die einen der Auf- lagen wegen, die andern wegen der nächsten Wahl. Und Frank Pergande hat Recht: Da sind nicht nur jene zwei Parteien, von denen die eine der andern gerade den Rang abläuft, sondern auch die andern, die verschämt mit- schleichen in Angst, ihre verbliebenen Wähler nicht auch noch zu verlieren.

"Die Lebensleistungen anerkennen": Was ist geleistet worden? Ein Staat, eine Gesellschaft, die immer nur wei- ter verrotteten und ihnen am Ende überm Kopf... nein, nicht zusammengebrochen, sondern schlicht und einfach verflogen ist. Worauf sie stolz sein könnten - nein, natürlich nicht alle gleichermaßen -, ist, dass trotz allem "das DDR-Erbe immer mehr verschwindet"; auch damit hat Pergande Recht.

Wenn ich Ihnen einen Politiker oder Publizisten nennen sollte, der dazu  beigetragen hätte - dann fällt mir keiner ein. Gauck ist ja Pfarrer und keins von beiden.
JE

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