Amerika zieht sich zurück, China trumpft auf. Deutschland muss nicht nur mehr für Sicherheit tun, sondern auch das eigene Wirtschaftssystem infrage stellen, bevor es zu spät ist. Ein Gastbeitrag.
Von
Hans Kundnani
Noch vor zehn Jahren schien Deutschlands Platz in der Welt klar definiert zu sein. Außenpolitische Debatten betrafen damals vor allem die Beteiligung Deutschlands an den sogenannten Out-of-Area-Einsätzen der Nato. Während der 1990er schien sich Deutschland in der Frage von Militäreinsätzen allmählich in Richtung „Normalität“ zu bewegen, ein Prozess, der in den Einsätzen in Serbien 1999 und Afghanistan ab 2001 kulminierte. Ab den 2000ern jedoch begann auch Deutschland Militäreinsätze im Zuge der den gesamten Westen erfassenden Zweifel gegenüber Militärinterventionen wieder zunehmend skeptischer zu sehen, vor allem nach der fehlgeschlagenen Invasion des Irak 2003.
Noch vor zehn Jahren schien Deutschlands Platz in der Welt klar definiert zu sein. Außenpolitische Debatten betrafen damals vor allem die Beteiligung Deutschlands an den sogenannten Out-of-Area-Einsätzen der Nato. Während der 1990er schien sich Deutschland in der Frage von Militäreinsätzen allmählich in Richtung „Normalität“ zu bewegen, ein Prozess, der in den Einsätzen in Serbien 1999 und Afghanistan ab 2001 kulminierte. Ab den 2000ern jedoch begann auch Deutschland Militäreinsätze im Zuge der den gesamten Westen erfassenden Zweifel gegenüber Militärinterventionen wieder zunehmend skeptischer zu sehen, vor allem nach der fehlgeschlagenen Invasion des Irak 2003.
Mit Ausbruch der Eurokrise
2010 jedoch ist Deutschlands Zukunft zunehmend unsicher geworden. Die
Krise löste eine abermalige Debatte über die deutsche „Hegemonie“ in
Europa aus, die sich in Folge der Flüchtlingskrise 2015 intensivierte.
Seit der Wahl Donald Trumps
zum Präsidenten der Vereinigten Staaten 2016 ist die Zukunft der
transatlantischen Allianz und der „liberalen internationalen Ordnung“ an
sich ungewiss geworden. Wie wird Deutschland in einer Zeit agieren, in
der scheinbar alles in Bewegung geraten ist – und die Analysten wie
Wolfgang Streeck als ein Interregnum im Sinne Gramscis beschreiben?
Regelmäßig haben außenpolitischen Analysten die Probleme ignoriert, die im Verlauf der Eurokrise
aufgetaucht sind. Was allerdings nicht heißt, dass diese gelöst worden
wären. Zwar provozierte das britische Chaos ein erneuertes rhetorisches
Bekenntnis zum europäischen Projekt, aber die weitere Integration ist
zum Stehen gekommen. Derweil verharrt Deutschland in einer
problematischen Position der Halbhegemonie. In der Praxis bedeutet dies,
dass das Land zwar die Kraft zur Festlegung der Regeln hat, nicht aber,
um sie durchzusetzen. Andere Staaten sind derweil stark genug, um die
Regeln zu brechen, nicht aber sie zu ändern.
Die Serie von Krisen, denen sich die EU seit 2010 gegenübersieht, hätten eine Chance sein können. Während der Eurokrise warfen die Länder Südeuropas Deutschland mangelnde „Solidarität“ vor. Aber in der Flüchtlingskrise forderte dann auf einmal Deutschland „Solidarität“ von den anderen Mitgliedsstaaten. Dies hätte durchaus eine Grundlage für einen umfassenden Deal sein können, basierend auf einem gemeinsamen Verständnis von Rechten und Pflichten zwischen EU Mitgliedsstaaten, die sowohl Teil des Euroraums als auch von Schengen sind, also eines de facto „europäischen Kerns“. Doch statt sie miteinander zu verbinden, suchte Deutschland beide Fragen zu entkoppeln. Europa ist in der Falle, wie Claus Offe es formuliert hat.
Die Wahl Donald Trumps könnte sich als der größte strategische Schock für ganz Europa herausstellen. Für Berlin stellt er ein besonderes schwieriges Dilemma dar. Deutschlands Position der Halbhegemonie innerhalb Europas war von einer bestimmten Konfiguration der liberalen internationalen Ordnung abhängig, in der Deutschland einen Freifahrtschein genoss. Gemeint sind hierbei insbesondere die Sicherheitszusagen der Vereinigten Staaten, die Fragen militärischer Macht in den innereuropäischen Beziehungen im Prinzip irrelevant machten, und die Rolle Amerikas als endlos verfügbarer Konsument zu nennen. Heute ist Washington hierzu weniger willens und könnten die eigene Hegemoniestellung aufgeben.
Die Unwägbarkeiten in Bezug auf die amerikanischen Sicherheitszusagen an Europa führten zu einer Spaltung der strategischen Gemeinde in Deutschland zwischen Atlantikern und Post-Atlantikern. Während Atlantiker dazu neigen, die strukturelle Verschiebung in der amerikanischen Außenpolitik zu unterschätzen, verkennen die Post-Atlantiker das Ausmaß der Schwierigkeiten vor denen Europa bei der Entwicklung strategischer Autonomie als Alternative zu den amerikanischen Sicherheitsgarantien steht. Problematisch ist dabei, dass selbst vorsichtige Schritte Europas in Richtung Unabhängigkeit das amerikanische Engagement weiter schwächen könnten.
Die Serie von Krisen, denen sich die EU seit 2010 gegenübersieht, hätten eine Chance sein können. Während der Eurokrise warfen die Länder Südeuropas Deutschland mangelnde „Solidarität“ vor. Aber in der Flüchtlingskrise forderte dann auf einmal Deutschland „Solidarität“ von den anderen Mitgliedsstaaten. Dies hätte durchaus eine Grundlage für einen umfassenden Deal sein können, basierend auf einem gemeinsamen Verständnis von Rechten und Pflichten zwischen EU Mitgliedsstaaten, die sowohl Teil des Euroraums als auch von Schengen sind, also eines de facto „europäischen Kerns“. Doch statt sie miteinander zu verbinden, suchte Deutschland beide Fragen zu entkoppeln. Europa ist in der Falle, wie Claus Offe es formuliert hat.
Die Wahl Donald Trumps könnte sich als der größte strategische Schock für ganz Europa herausstellen. Für Berlin stellt er ein besonderes schwieriges Dilemma dar. Deutschlands Position der Halbhegemonie innerhalb Europas war von einer bestimmten Konfiguration der liberalen internationalen Ordnung abhängig, in der Deutschland einen Freifahrtschein genoss. Gemeint sind hierbei insbesondere die Sicherheitszusagen der Vereinigten Staaten, die Fragen militärischer Macht in den innereuropäischen Beziehungen im Prinzip irrelevant machten, und die Rolle Amerikas als endlos verfügbarer Konsument zu nennen. Heute ist Washington hierzu weniger willens und könnten die eigene Hegemoniestellung aufgeben.
Die Unwägbarkeiten in Bezug auf die amerikanischen Sicherheitszusagen an Europa führten zu einer Spaltung der strategischen Gemeinde in Deutschland zwischen Atlantikern und Post-Atlantikern. Während Atlantiker dazu neigen, die strukturelle Verschiebung in der amerikanischen Außenpolitik zu unterschätzen, verkennen die Post-Atlantiker das Ausmaß der Schwierigkeiten vor denen Europa bei der Entwicklung strategischer Autonomie als Alternative zu den amerikanischen Sicherheitsgarantien steht. Problematisch ist dabei, dass selbst vorsichtige Schritte Europas in Richtung Unabhängigkeit das amerikanische Engagement weiter schwächen könnten.
Die Deutschen fühlen sich einfach nicht bedroht
Während aber sowohl Atlantiker als auch
Post-Atlantiker über die Notwendigkeit sprechen, auf neue Gefahren in
einer zunehmend gefährlichen Welt zu reagieren, scheint die deutsche
Bevölkerung mehr über den potentiellen Verlust ihrer Identität als
Friedensmacht besorgt zu sein. Trotz der Unsicherheiten in Bezug auf die
amerikanischen Sicherheitsgarantien, fühlen sich die Deutschen einfach
nicht bedroht. Viele sähen heute die Übernahme größerer „Verantwortung“
und dabei insbesondere eine drastische Steigerung der
Verteidigungsausgaben, als ein Zugeständnis an Trump und seine Politik.
Die
zukünftigen Beziehungen Deutschlands zu China sind auch mit der Rolle
Deutschlands in Europa und der Beziehung zu den Vereinigten Staaten
verknüpft. Während der vergangenen Dekade ist Deutschland zunehmend
abhängig von China als Exportmarkt geworden – insbesondere nachdem im
Verlauf der Eurokrise die Nachfrage aus Europa zurückging. Es
entwickelte sich in der Folge eine enge politische Beziehung zwischen
Berlin und Peking. Die Krise hat den Westen in Überschuss- und
Defizitländer gespalten und China und Deutschland zusammengeführt.
Als China unter
Xi Jingping mittelständische Unternehmen aufzukaufen und zunehmend
autoritär zu werden begann, schien Deutschland chinaskeptischer und
offener für ein härteres Vorgehen basierend auf einer stärkeren
transatlantischen Koordination zu werden. Doch die Wahl Donald Trumps
gab der Vorstellung von Europa als einem eigenständigen Pol in einer
multipolaren Welt in einem Dreieck mit China und den Vereinigten Staaten
neuen Auftrieb. In China sehen viele insbesondere in Fragen des
Klimawandels den vielversprechenderen Partner – und jüngst schien die
deutsche Regierung sogar das Interesse an einer noch im Entstehen
begriffenen härteren europäischen Gangart zu verlieren.
Deutschland muss sein Wirtschaftsmodell überdenken
Hinter diesen verschränkten
außenpolitischen Herausforderungen steht Deutschlands ungebrochenes
Bekenntnis zu einem exportbasierten Wirtschaftsmodell, dass trotz seiner
im letzten Jahrzehnt sichtbar gewordenen Schwächen weithin als
erfolgreich angesehen wird. Dieses Wirtschaftsmodell hat eine Korrektur
der makroökonomischen Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone erschwert
und steht dem langfristigen Bestand einer gemeinsamen Währung im Weg.
Zudem hat es die Amerikaner erbost und Deutschland besonders verwundbar
für Trumps Angriffe und so abhängig von einem autoritären China gemacht.
Ein Überdenken
des eigenen Wirtschaftsmodells ist daher die vielleicht größte
Herausforderung, vor der Deutschland steht. Das wäre nicht nur für
Deutschlands Partner in der Nato und der EU gut, die von einer
steigenden Binnennachfrage profitieren würden, sondern auch für
Deutschland selbst. Deutschlands Wettbewerbsbesessenheit hat die
Ungleichheit und die politische Unsicherheit gefördert. Die bröselnde
Infrastruktur des Landes verlangt dringend Investitionen. Allerdings
verbietet der politische Konsens in Bezug auf Deutschlands Identität als
Exportnation ein solches Umdenken.
Die Frage ist, ob Deutschland zum Umdenken fähig ist, bevor es zu spät ist. Ganz allmählich ziehen sich die Vereinigten Staaten von ihrer Rolle als Hegemon zurück, die sie seit dem Zweiten Weltkrieg innehatten. Zunehmend scheinen sie nicht mehr zur Bereitstellung globaler Gemeinschaftsgüter wie Sicherheit und ökonomischer Nachfrage willens zu sein – insbesondere für Europa, von dem sie zu Recht glauben, dass es in der Lage sein sollte, für sich selbst zu sorgen. Während alles um sie herum in Bewegung gerät, scheinen die Deutschen zu glauben, sie könnten dennoch einfach so weitermachen wie bisher.
Viele sehen hierin einen Ausdruck von Deutschlands Bekenntnis zum Liberalismus – und sogar zu einer deutschen Führungsrolle in einer Situation, wo sich das Land zunehmend von „illiberalen“ Kräften umzingelt sieht. Solch ein binäres Schwarz-Weiß-Denken ist jedoch ein Fehler. Will Deutschland die liberale internationale Ordnung wirklich retten, muss das Land seine eigene Rolle innerhalb dieser Ordnung ändern. Auf ökonomischer Ebene würde dies eine Ankurbelung der Binnennachfrage und eine Minderung der Exportabhängigkeit bedeuten. In Sicherheitsfragen bedeutete es, weit mehr für die Sicherheit Europas zu tun, oder, sollte Deutschland hierzu nicht bereit sein, sich die Frage zu stellen, welchen Preis das Land bereit ist, anderen im Gegenzug für diese Sicherheit zu zahlen.
Die englische Version dieses Gastbeitrages ist in der diesjährigen Ausgabe von „The Berlin Pulse“ erschienen, dem Begleitheft zum Berliner Forum Außenpolitik der Körber-Stiftung.
Nota. - Das ist so gut, dass ich es in voller Länge wiedergeben muss. Die FAZ wird es mir hoffentlich nach- sehen.
JE
Nota. - Das ist so gut, dass ich es in voller Länge wiedergeben muss. Die FAZ wird es mir hoffentlich nach- sehen.
JE
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