Eine Kontinuität ist schon erkennbar
Die Frage nach den Vorfahren der Germanen ist durch die NS-Ideologie
kontaminiert worden. Sie bleibt aber spannend. Führt eine Spur von der
Himmelsscheibe in Nebra zu den Germanen? Ein Gespräch mit Harald Meller.
Sie
sind oberster Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt. Was gibt es in Ihrem
Bundesland Neues von den Germanen? Was ist das Neueste?
Harald Meller: Das
Neueste sind kleine Figuren aus Bronze, die wir gefunden haben, bei
denen es sich offenbar um Götterdarstellungen handelt. Bronze ist ein
Werkstoff, mit dem die Germanen normalerweise nicht arbeiten. Sie haben
phantastische Gegenstände aus Silber, Eisen oder Holz hergestellt, mit
Bronze haben sie kaum agiert. Diese seltenen Bronzefiguren sind von
archaischer Anmutung, auch sehr klein und möglicherweise ein Reflex auf
die Götterbilder, die die Germanen im Römischen Reich kennenlernten.
Wurden diese Figuren neu erforscht oder neu gefunden?
Beides. Manchmal liegt etwas im Museumsdepot, das man von seiner Bedeutung her noch nicht einschätzen kann. Kommt nun ein passender Neufund hinzu, regt er immer auch eine neue Forschung an. Zum Beispiel haben Sondengänger in unserem Auftrag in letzter Zeit sehr viele römische Schuhnägel gefunden, die beim Marsch der Soldaten vor Jahrhunderten verloren gingen. Die Soldaten hinterlassen eine Spur wie Hänsel und Gretel im Märchen. Wenn man die Nägel dann später findet, kann man den Weg der römischen Soldaten durch Mitteldeutschland nachvollziehen. Wir wissen ja, dass Drusus 9 vor Christus an die Elbe kommt, um Germanien zu erobern. Drusus und Tiberius, die Kaisersöhne, haben das heutige Süddeutschland eingenommen und wollen jetzt auch Germanien unterwerfen. Doch das geht schief. Drusus wird beim Versuch, die Elbe zu überqueren, zurückgeschlagen, muss sich zurückziehen und fällt dabei vom Pferd, er bricht sich den Oberschenkel und stirbt. Tiberius wird dann später Kaiser. Wo diese Schlachten stattfanden, welchen Verlauf die Züge nahmen, versuchen wir mittels Bodenfunden zu analysieren – und da kommen wir jedes Jahr ein Stück weiter.
Wir
haben gerade von den ungelenken bronzenen Götterfigürchen aus
germanischer Zeit gesprochen. In Halles Landesmuseum befindet sich auch
die weltberühmte bronzene Himmelsscheibe von Nebra. Dazu eine nicht
unproblematische Frage: Sehen Sie Kontinuitäten zwischen der Bronzezeit
und den Germanen, zwischen all den Funden, die in Ihrem Museum
versammelt sind?
Archäologen haben in früherer Zeit immer wieder Kontinuitäten konstruiert. Sie haben von Kelten zurückgeschlossen auf die Bronzezeit, von den Germanen ausgehend taten sie dasselbe. Aber als Archäologen können wir methodologisch so nicht vorgehen. Von Germanen können wir als Archäologen erst sprechen – und ihre Völker so bezeichnen – wenn tatsächlich von „Germanen“ die Rede ist. Letztlich seit Caesar oder beginnend mit dem Auftreten der Kimbern und Teutonen. Wir können aber nicht die Zeit von 2000 oder auch 1600 vor Christus mit den Germanen verbinden. Doch inzwischen kann die Genetik helfen. Sie zeigt uns, dass die von uns im Fundmaterial gesehenen gesellschaftlichen Brüche, wenn sie ganz gravierend sind, tatsächlich mit Einwanderungen und Änderungen in der genetischen Zusammensetzung der damaligen Menschen übereinstimmen.
Es gibt mehrere Brüche: Die Jäger und Sammler Mitteleuropas werden im Zuge einer Einwanderung aus dem Vorderen Orient um 5500 vor Christus ersetzt. Die Menschen in unserer Gegend werden um 3500 vor Christus verdrängt, und zwar von solchen, die aus dem Norden kommen. Und diese Menschen wiederum werden um 2800 vor Christus abermals verdrängt durch Menschen, die aus der eurasischen Steppe stammen. 2500 vor Christus kommen erneut Menschen aus der Steppe. Es kommt zu einer Vermischung; durch sie entsteht das, was wir die Frühbronzezeit nennen.
Die Aunjetitzer Kultur, in die die Himmelsscheibe von Nebra eingebettet ist, reicht bis 1600 vor Christus. Von 1600 bis zu den Germanen und bis in die heutige Zeit sehen wir keine dramatische genetische Veränderung mehr. Es kommen später, im Mittelalter, noch Reitervölker wie die Ungarn hinzu. Zudem gibt es in Europa etwas, das wir als mesolithische Restbevölkerung bezeichnen können, die Basken etwa. Im Prinzip sprechen wir aber alle Indoeuropäisch. Diese sprachhistorische Prägung bringen wir heute, mit den archäologischen und genetischen Quellen, in Zusammenhang mit der Einwanderung von Steppenvölkern aus Südrussland um 2500 vor Christus. Wir sprechen heute noch diese Sprachen, die Gene tragen wir heute noch in uns, sodass wir mit einer gewissen Berechtigung zwischen der Zeit um 2000 bis heute von einer Bevölkerungskontinuität ausgehen können. Es handelt sich dabei auch nicht um so viele Generationen. Wenn Sie für hundert Jahre fünf Generationen ansetzen, kommen Sie seit Christi Geburt nur auf hundert Generationen, wenn Sie weitere 2000 Jahre zurückgehen, sind es insgesamt zweihundert Generationen. Das ist menschheitsgeschichtlich ein überschaubarer Zeitraum.
Wie geht es auf sachsen-anhaltischem Gebiet nach der Aunjetitzer Kultur weiter?
Die Aunjetitzer Kultur ist eine, in der die Super-Hierarchie und so etwas ähnliches wie der Staat – zumindest nach der Definition Max Webers – erfunden wird. Man hat ein Staatsterritorium, es gibt zum ersten Mal eine Armee mit Soldaten unter der Führung eines einzigen Helden, des Fürsten. Es handelt sich um ein elaboriertes System. Für den Einzelnen war es sicherlich dadurch nachteilig, dass es letztlich auch Unterdrückung bedeutete. Anders aber als in Ägypten kann man den Staat geografisch nicht abriegeln. In Ägypten kann man den Nil dicht machen, rechts und links liegt Wüste. In Mitteldeutschland ist das Gebiet offen, jeder könnte in alle Richtungen weggehen. Aber die Böden sind fruchtbar, es sind die besten Mitteleuropas für den Ackerbau, sodass die Menschen bleiben, wenn die staatliche Steuerlast überschaubar ist. Dieses Leben in Sicherheit, über vierhundert Jahre lang, ist der Preis für das straffe System mit Militär und Fürsten. Nach dieser Zeit, um 1600, scheint es zu einem dramatischen Umschwung zu kommen, zu einer Art Revolution. Als Hypothese bringen wir diese mit dem Thera-Ausbruch in der Ägäis in Verbindung. Dort wird offenbar so viel Staub in die Luft geschleudert, dass die Ernten schlechter werden. Und wenn der Fürst sich göttlich legitimiert, wie es offenbar geschehen ist, dann ist er für die Ernten verantwortlich. Auch haben wir festgestellt, dass am Ende dieser Herrschaftszeit die Armen ärmer und die Reichen reicher werden. Das führt offenbar zu einer derart großen Ungleichheit, dass die Fürstenherrschaft für lange Zeit beendet wird.
In der folgenden Mittelbronzezeit, von 1550 an, gibt es eher Stammeshäuptlinge, das Gebiet der Aunjetitzer Kultur verliert politisch an Einfluss und wird vergleichsweise unbedeutend. Das bleibt über viele Jahrhunderte hinweg so bis zum Beginn dessen, was wir die Germanenzeit nennen. Davor sind die Gesellschaften über einen langen Zeitraum hinweg relativ egalitär. Es gibt große, befestigte Siedlungen, in denen offenbar ein gesellschaftlicher Ausgleich geschaffen wird. Diesen Gesellschaften gelingt es offenbar, die unglaubliche landwirtschaftliche Produktivität und den Reichtum relativ einheitlich, möglicherweise sogar gerecht zu verteilen. Und dieses System ist immerhin von 1600 vor Christus bis Christi Geburt relativ stabil. Wir sehen hier keine kriegerischen Aktivitäten, auch keine Darstellung der Männer als Krieger, sondern eher im Familien- und Gruppenverband. Das ändert sich dramatisch durch den Kontakt mit den Römern. Plötzlich entwickelt sich das, was wir „Germanen“ nennen, es entwickeln sich große Stämme, die immer größer und schlagkräftiger werden. Genetisch aber scheint es eine Kontinuität zu geben von der Bronzezeit zu den Germanen. Trotz aller kultureller Brüche, die archäologisch fassbar sind. Zumindest sieht es nach heutigem Stand so aus.
Wie haben sich die Bestattungsriten entwickelt?
In der Frühbronzezeit gibt es sehr reiche Gräber unter riesigen Grabhügeln. Der größte Grabhügel Mitteleuropas ist der Bornhöck in der Nähe von Halle. Zuletzt konnten wir nachweisen, dass er, mit Kalk überzogen, strahlend weiß war. Er war sozusagen eine Pyramide des Nordens, unter dem Sie das ganze Landesmuseum begraben könnten. Der Hügel maß 65 bis 70 Meter im Durchmesser, das muss man sich vorstellen. Dort werden die Fürsten körperbestattet, in gestreckter Lage. Die einfachen Menschen werden in Hockstellung bestattet. In der Mittelbronzezeit werden die Menschen immer noch unter Hügeln bestattet, in gestreckter Lage; in der Spätbronzezeit, also von 1300 an, gibt es in Europa dann die Brandbestattung. Ihre Verbreitung nimmt rasch zu, doch das Gebiet um Halle ist eine Ausnahme, hier gibt es sowohl Brandbestattungen als auch Körperbestattungen. Für uns Forscher ist das praktisch, weil wir dadurch mit genetischen Daten arbeiten können. Bei den sogenannten Germanen nun findet man in der Regel Brandbestattungen, mit Ausnahme der reichsten und herausgehobensten Königs- und Fürstengräber, in denen Männer wie Frauen bestattet werden. Dort gibt es wieder Körperbestattungen – eine Konstante möglicherweise. In der Frühbronzezeit werden sicher nicht alle Menschen bestattet, genauso wenig wie in der mittleren Bronzezeit. Bei den Germanen haben wir aber den Eindruck, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung bestattet wird. Das ist ein deutlicher Unterschied. Bei den Germanen gibt es außerdem das Phänomen von Männerfriedhöfen und von Gefolgschaftsgruppen in Männerfriedhöfen. Das ist spannend, weil es bedeutet, dass die Kriegerideologie über der Idee der Familie steht. In manchen Industrienationen, wenn Sie an Japan denken, ist die Arbeit auch heute wichtiger als die Familie. Die germanische Grundideologie ist in gewisser Weise perfekt für kapitalistische Wirtschaftssysteme, wie wir sie heute haben.
In der Bronzezeit bekommen nur die ausgewiesensten Eliten Waffen mit ins Grab. Bei den Germanen bekommen viele Männer Waffen ins Grab. In der Bronzezeit finden sich Schmuckformen wie Hals- oder Armringe in Hort-, also Opferfunden. Bei den Germanen werden die entsprechenden Schmuckstücke mit ins Grab gegeben. Mit der Zeit, im zweiten und dritten nachchristlichen Jahrhundert – zum Ende der germanischen Kultur – kommen Waffen als Opfer in die Moore, sie wandern sozusagen aus den Gräbern heraus, teilweise im Umfang der Waffenausrüstung ganzer Armeen, so wie es aus Skandinavien bekannt ist.
Das
Interessante ist, dass die Germanen erst unter dem Druck der Römer in
der Form großer germanischer Stämme entstehen. Untereinander haben sie
weiträumige Kontakte. Die germanischen Fürsten sind eng vernetzt, sie
haben die gleichen Repräsentationsmittel in ihren Gräbern: römische
Weingefäße und ähnliches, die über teils große Entfernungen gehandelt
werden. Man muss bedenken, dass das Reisen im Römischen Reich sehr
einfach war. Zahlreiche Germanen haben sich als römische Söldner
verdingt und stiegen beim Militär zu teils hohen Rängen auf. Sie
bewegten sich überall im Römischen Reich, sodass man sicher sagen kann:
Germanen hielten sich in römischen Diensten zu großer Zahl im Schatten
der ägyptischen Pyramiden auf. Viele Germanen sind aber auch nach dem
Militärdienst im Römischen Reich in ihre alte Heimat zurückgekehrt und
haben dorthin ihr Wissen mitgebracht, wie wir es in den archäologischen
Quellen sehen können. Man muss damit rechnen, dass in Germanien römische
Handwerker, Wein- und Waffenhändler tätig waren. Es entstanden somit
ganz neue, auf das Römische Reich bezogene Netzwerke, die mit denen der
Bronzezeit nichts mehr zu tun hatten.
Was für ein Germanenbild vermitteln Sie in Ihren Ausstellungen? In dieser Interview-Reihe gab es mal einen Beitrag über Schulwandbilder aus dem Kaiserreich und der NS-Zeit, die oft zum Großteil auf falschen Voraussetzungen beruhten. Sie scheinen in Halle in der Veranschaulichung historischer Zusammenhänge nicht sehr zurückhaltend zu sein, es gibt viele Illustrationen und rekonstruierende Lebensbilder.
Wir sind Archäologen. Wir haben Daten, und diese Daten müssen wir interpretieren. Wir interpretieren, sofern man fundiert interpretieren kann, sofern aufgrund des Forschungsstands eine plausible Deutung möglich ist. Wir interpretieren, aber wir spekulieren nicht. Wir versuchen so weit zu interpretieren, dass man insgesamt eine schlüssige Geschichte erzählen kann.
Welches
Germanenbild wollten Sie in dem neuen Teil Ihrer Dauerausstellung mit
dem Titel „Barbarenmacht“ darstellen? Im vorhergehenden Teil hatten Sie
ganz methodenkritisch gezeigt, dass die Germanen eigentlich von den
Römern erfunden werden.
Unser Germanenbild ist wahrscheinlich immer noch von der damaligen Lebensrealität entfernt. Wir haben im Grunde zwei Ursprünge historischer Quellen. Wir haben einerseits die Römer und andererseits die Griechen, die in ihren literarischen Quellen umfangreich über die Germanen berichten, aber natürlich aus der Sicht des Siegers. Nur zwei Schriftsteller waren selbst in Germanien. Die anderen haben sicherlich Germanen kennengelernt im Römischen Reich, sie haben sicherlich recherchiert und mit Militärs gesprochen, die Germanien gut kannten, viele dieser Informationen sind sicher nicht falsch. Man muss aber bei allen schriftlichen Quellen berücksichtigen, dass sie eine Intention verfolgen. Jedoch darf man die Intention auch nicht überbewerten. Natürlich ist Cäsar zuweilen tendenziös, andererseits ist er auch ein Militärschriftsteller, der in Rom seinen Feinden standhalten muss. Er kann also nicht ungehemmt lügen. Es zeigt sich in der Archäologie daher immer wieder, dass vieles in den antiken Schriftquellen einfach richtig ist. Als Korrektiv haben wir in der Archäologie die Ausgrabungen, wir haben die archäologischen und genetischen Befunde, die naturwissenschaftlichen Untersuchungen – dies alles muss man zusammenbringen, um ein konzises Bild zu entwickeln.
In der Dauerausstellung zeigen wir in einem ersten Raum die Germanen aus Sicht der Römer. Daher haben wir eine Schreibstube von Tacitus nachgeahmt. In dem neuen, zweiten Raum zeigen wir die Germanen aus Sicht der Archäologie, aus Sicht der Daten, die wir gewinnen können. Man kann beides gut vereinen. Für mich sind die Germanen ein Konstrukt, und eine Identität, die im Kontakt mit Rom erst entsteht. Es sind die verschiedensten Bevölkerungsgruppen, die östlich des Limes im heutigen Mittel- und Ostdeutschland, im heutigen Polen und Tschechien, im heutigen Skandinavien leben. Sie sind vergleichsweise egalitär, Männer und Frauen leben mit wenigen Unterschieden, sie sind nicht besonders kriegerisch. Erst in der Auseinandersetzung mit Rom gewinnt das Kriegertum eine große Bedeutung, die Kampfideologie entsteht, martialische Götter gewinnen an Einfluss. Es entsteht im Krieg mit Rom auch erheblicher Wohlstand durch Plünderungen und es etablieren sich wesentlich größere soziale Unterschiede, plötzlich sieht man sehr deutlich einen Unterschied zwischen Arm und Reich, stark stratifizierte Gesellschaften bilden sich. Und man kann auch beobachten, dass es zu immer größeren Bildungen von Stammeskonglomeraten kommt, weil sich in der Auseinandersetzung mit Rom immer mehr Verbände zusammenschließen. Es gibt dann auch zunehmend innergermanische Kriege. Wenn man diese Situation auf die heutige Zeit überträgt, sieht man Ähnliches in Afghanistan, wo zwei Großmächte den Eindruck hatten, sie könnten ganz leicht dieses Land besiegen. Es kommt aber zu einer asymmetrischen Kriegsführung, die keinen Sieger zulässt. Genau das passiert dem Römischen Reich. Es kann die Germanen nicht besiegen, sie bleiben eine permanente Bedrohung an der Nordostgrenze.
Das
Bild der Versammlungshalle, das Sie in der neuen Ausstellung etabliert
haben – warum haben Sie gerade dieses gewählt? Ist es nicht suggestiv,
welches Vorbild gab es?
Das ist natürlich ein starkes Bild. Der Anlass für die Gestaltungsidee ist aber völlig banal. In dem Raum gibt es mehrere Betonsäulen – und die hätten sehr den Gesamteindruck gestört. Dann fragten mich die Gestalter, ob es bei den Germanen nicht Versammlungshallen gegeben habe. Und die kennen wir natürlich aus der jüngeren germanischen Mythologie. Eine germanische Versammlungshalle gibt es aber auch in Uppåkra, einem Ort bei Lund. Diese Versammlungshalle bestand lange, ist phantastisch ergraben und von den schwedischen Kollegen perfekt dokumentiert. Zum Beispiel gab es Goldfolien mit Menschen- und Götterbildern, die an die hölzernen, sehr dicken Säulen genagelt waren. Diese Details, auch die Stärke der Säulen, haben wir in der Ausstellung nachgeahmt. Die Vitrinen haben wir in Eisenkonstruktionen eingelassen, weil das Eisen für die Germanen das entscheidende Metall ist, aus dem sie Waffen und vieles andere herstellen. Die Silber- und Goldfunde, die Sie in der Ausstellung sehen, wurden fast ausnahmslos aus römischen Silber- und Goldschätzen umgeschmolzen und gefertigt, häufig auch von römischen Handwerkern.
Wo war der für die neue Ausstellung zentrale Fund von Gommern bisher zu sehen?
Der Fund von Gommern war bisher nur in Sonderausstellungen zu sehen. Es ist das reichste Fürstengrab dieser Zeit, das wir kennen. Als junger Mann hat dieser Fürst offenbar an Plünderungszügen teilgenommen und verfügt daher über eine zusammengeraubte Silberausstattung. Als er König wird, bekommt er von Rom eine phantastische komplette neue Ausstattung, sodass die alte wertlos wird. Er lässt sie daher umarbeiten – ein Trinkgefäß zum Beispiel in einen tollen silbernen Schildbuckel, bei dem man, wenn man ihn umdreht, noch die römischen Punzierungen sieht.
Was fasziniert Sie an den Germanen?
Mich faszinieren viele Perioden in der Urgeschichte. An den Germanen fasziniert mich, dass sie zu den wenigen Gruppen gehören, die diesem riesigen Römischen Reich und seinen Verlockungen widerstehen. Die Kelten, die eine entwickelte gesellschaftliche Struktur haben und bereits über Städte verfügen, erliegen Rom, wohl weil sie mit ihrer Stadtkultur und ihrer stark gegliederten Gesellschaft sehr ähnlich sind. Das Römische Reich kann den keltischen Eliten ein Angebot machen, das sie nicht ausschlagen können. Kelten werden im Senat der Stadt wichtig und partizipieren am römischen Reichtum. Und auch einzelne germanische Fürsten erliegen sicher der Faszination des Römischen und möchten möglicherweise Führer aller Germanen werden, aber die Stämme selbst, die Menschen, haben eine große Resilienz gegen diese Kultur und wollen ihre Identität nicht aufgeben. Und das führt dann letztlich und langfristig zum Sturz des Römischen Reiches.
Was würden Sie noch gerne herausfinden über die Germanen?
Ich würde gerne das Verhältnis zwischen Römern und Germanen in Germanien besser kennen. Ich würde gerne den Ort finden, an dem Drusus die Elbe erreicht hat und auch die römischen Marschlager auf dem Weg dorthin. Das müssen sehr große Lager gewesen sein, Doppellegionslager. Dann würde ich gerne die Zeugnisse dieser römischen Feldzüge tief nach Germanien hinein finden. Die frühen Züge des Drusus archäologisch fassen zu können, fände ich sehr spannend. Das ist aber ungeheuer schwer, weil sich die Marschlager – die oft nur ein, zwei Tage bestehen – mit nur wenigen Funden niederschlagen. Außerdem würde ich gerne das Verhältnis zwischen den Germanen, die in Rom sind und denen, die zurückkehren, genauer erforschen. Auch spannend finde ich, herauszufinden, welche Römer sich in Germanien aufhielten: Handwerker, Militärberater, Waffenhändler, Gold- und Feinschmiede, Kartographen. Sie müssen alle hier gewesen sein.
Die Fragen stellte Uwe Ebbinghaus
Prof. Dr. Harald Meller studierte Vor- und Frühgeschichte, Provinzialrömische Archäologie und Ethnologie in München und Berlin. Nach seiner Promotion arbeitete er als wissenschaftlicher Angestellter im Bereich Großprojekte der Bodendenkmalpflege und Gebietsreferent im Landesamt für Archäologie in Sachsen. Seit 2001 ist er als Landesarchäologe und Direktor des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt und des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle tätig. Seit 2009 unterrichtet er als Honorarprofessor am Institut für Kunstgeschichte und Archäologien Europas an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
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