Freitag, 1. November 2019

Der amerikanische Mainstream hat seinen Trump redlich verdient.

 
aus Die Presse, Wien, 30.10.2019

Trump-Gegner sind Teil des heutigen USA-Desasters
Die „normalen“ Verhältnisse vor 2016 haben Trump ins Weiße Haus gebracht. 

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Das von den US-Demokraten angestrebte Amtsenthebungsverfahren (Impeachment) gegen Präsident Donald Trump ist der Versuch, jene politischen Verhältnisse wiederherzustellen, die bis 2016 in den Vereinigten Staaten geherrscht hatten. Die Aussichten auf Erfolg eines Impeachment sind dabei gering, der Nutzen unabsehbar. Den- noch ist angesichts der Ukraine-Affäre der Enthusiasmus über ein mögliches Verfahren groß. 

Zweifellos ist Trump ein unwürdiger und unfähiger Präsident. Seine Gegner wähnen sich ihm daher in Moral und Kompetenz überlegen. Für sie hat Trump die Präsidentschaft einfach nicht verdient.
 
Was die Betreiber eines Amtsenthebungsverfahrens aber tatsächlich verfolgen, ist weniger die Ablöse des Prä- sidenten. Vielmehr sollen die „normalen“ Verhältnisse der Ära vor Trump wiederhergestellt werden. Aber gera- de solche „normalen“ Verhältnisse haben Trump ins Weiße Haus geholfen. „In Gefahr und großer Not bringt der Mittelweg den Tod“, meinte der deutsche Dichter Friedrich von Logau. Ja, vielleicht. Tatsächlich aber hat das politische Establishment der USA in den vergangenen Jahrzehnten Politik jenseits von links und rechts betrie- ben. Das dadurch entstandene Vakuum wurde gefüllt von populistischen und nationalistischen Bewegungen.

Überheblicher Mainstream

Die Nichtpolitik des Zentrums hat Trump und seine „America First“- Strategie erst ermöglicht. Die technokra- tische Politik des Mittelweges, wie auch des „Dritten Weges“ in Europa, versprach eine Politik ohne Konflikte: Politik als bloße Verwaltungsfunktion – angeblich zum Wohle aller, aber blind für die Anliegen der Menschen.

Fragen nach dem Zweck von Politik, nach sozialer und ökonomischer Gerechtigkeit und Mitgestaltung, wurden ausgeblendet. Populisten wie Trump profitieren von der Überheblichkeit des Mainstream und dessen politischen Versäumnissen. Niemand wurde für die Folgen der Weltfinanzkrise und der wachsenden Ungleichheit innerhalb der US-Gesellschaft verantwortlich gemacht. Moralische Elitendiskurse über Gleichberechtigung und Identitäts- politik wurden stattdessen zum Ersatz für eine seriöse Politik, die Konflikte austrägt und sozioökonomischer Ungleichheit entgegensteuert.

Versunken in endlosen Kriegen

Auch für die Folgen der zahlreichen militärischen Abenteuer wurde niemand zur Verantwortung gezogen. Im Gegenteil: Die USA verwickelten sich immer mehr und immer tiefer in endlose Kriege.
 
Auch wenn die Mitgestalter früherer Regierungen heute Fehler eingestehen, die Lehren daraus haben die Vertreter des „America First“ gezogen. Deren politischer Erfolg besteht weder darin, das Land zu vereinen, noch darin, Kriege zu beenden. Sie besteht darin, die Legitimität der alten, mit sich selbst beschäftigten politischen Elite infrage zu stellen.

Mittels des Amtsenthebungsverfahrens will die entmachtete politische Mittelklasse zurück zur „Normalität“. Angesichts der fatalen Folgen ihrer Politik mögen pragmatische Idealisten der Regierungen von Bill Clinton, George W. Bush und Barack Obama heute eingestehen, dass die „Welt ist, wie sie ist“. Dennoch träumen sie von einer Restauration der Verhältnisse vor Trump, um weitermachen zu können wie früher.

Wie üblich bezeichnet Trump das angestrebte Impeachment als „Hexenjagd“. Egal, welches Ergebnis das Amts- enthebungsverfahren und die Präsidentschaftswahl 2020 bringen werden, die US-Gesellschaft wird weiter ge- spalten. Jene, die sich am lautesten über Trump beklagen, verstehen nicht, dass sie ein Teil des Problems sind, das zur jetzigen US-Regierung geführt hat.

Jodok Troy (*1982 in Bregenz) ist Politikwissenschaftler an der Universität Innsbruck.


Nota. - Die Versuchung ist da, das auf deutsche Verhältnisse zu übertragen. Das wäre aber unklug. Rechts und links haben in Amerika längst nicht die Bedeutung wie in Europa, weil sie nicht einheimisch sind, sondern ein Import. In der wirklichen Politik haben sie dort erst eine Bedeutung seit Roosevelts New Deal, als der New Libe- ralism entstand als amerikanische Variante der Sozialdemokratie, die in Europa soeben krachend scheiterte und zusehen musste, wie ihr die faschstischen Regime ihr Wirtschafts- und Sozialprogramm stahlen.

In Amerika gab es dagegen von Anbeginn den Gegensatz zwischen denen, die eine rationalistische Politik und daher eine starke Zentralregierung wünschten, und den ländlich-konservativen Vertretern der lokalen Autono- mie. So konnte es sein, dass der sanfte Anarchist Thoreau mal von Linken und mal von Rechten in Anspruch genommen wird. 

Eine Linke im europäischen Sinn ist nie entstanden, weil eine revolutionäre Bewegung - eine revolutionäre Ar- beiter bewegung - dort nie entstanden ist, die den Reformern stets auf den Fersen geblieben wäre, die allezeit mit dem Staat liebäugeln; und die Libertären aus den Wäldern ab- und in die Industriestädte gezogen hätte. Nicht zuletzt darum, weil die offene frontier den unruhigsten Elementen der - immigrierten - Arbeiterklasse erlaubte, ihrerseits in... die Wälder auszuweichen.

Das Zwei-Parteien-System ist das Ergebnis des Mehrheitswahlrechts, und ein jeder, der in der Politik was werden will, muss sich in einen der beiden Apparate hineinhängen, wobei politische oder weltanschauliche Überzeugungen nur unter manch andern Gesichtspunkten berücksichtigt werden. Wirkliche Richtungsentschei- dungen wie etwa der New Deal oder die Abschaffung der Rassengesetze kommen so nicht wegen, sondern trotz der Parteien zustande. (Bis in die sechziger Jahre waren die Rassisten mehrheitlich bei den Demokraten, die Republikaner sind traditionell abolitionists.)

Nun ist einer der beiden Apparate von einem Demagogen gekapert worden, und der ist jetzt Präsident. Nicht wegen seines Programms - Wer könnte schon sagen, dass er es kennt? - und nicht trotz, sondern wegen seiner Parsönlichkeit. Diese Persönlichkeit verkörpert in ihrer Fülle eine Stimmung. Die ist diffus und wurde nur zu einer politischen Kraft, weil sie sich an einer ebenso diffusen Stimmung profilieren kann, die wir der Einfach- heit halber die Politische Korrektheit nennen wollen. Die war jahzehntelang die Herrschende und ist kein biss- chen weniger demagogisch - "populistisch" sagen sie heute - als jene. Es vereint sie die Verachtung des Rechts- staats, sie hetzen gegen die Andersdenkenden und vergötzen das Gesunde Volksempfingen, und das ist das ihrer jeweiligen Klientel.

Es sind die eigenen Methoden, mit denen diese jene aus dem Amt getrieben haben - sie hatten, weil neuer, mehr Schwung. Und mit denen jetzt jene hoffen, wiederauferstehen zu können?!

Eine rationelle, rechtsstaatliche und freiheitliche Mitte wird in Amerika ebenso dringlich gebraucht wie in den Ländern Europas. Einstweilen unüberwindliche Hürde ist auf beiden Seiten des Atlantiks der Fortbestand der Apparate, die seit Generationen Wahlen unter sich ausmachen und nicht weiter schauen können als in die nächsten vier Jahre

Solange das so ist, bräuchten jene in Amerika, da sie ein glaubwürdiges Programm nicht haben, eine überzeu- gende (sic) Persönlichkeit, die zumindest ebensoviel auf die Waagschale bringt wie Trump. Aber die haben sie ja nicht.
JE



 

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