Samstag, 9. November 2019

Hat Deutschland einen Platz in der Welt auszufüllen?

Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), Bundesverteidigungsministerin, spricht vor Studenten an der Universität der Bundeswehr. Kramp-Karrenbauer plant die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates in Deutschland.
aus tagesspiegel.de, 7. 11. 2019

AKK ist auf dem richtigen Weg
Die Verteidigungsministerin hält eine Grundsatzrede zur Sicherheitspolitik. Dafür wird sie nun wieder kritisiert - zu Unrecht. Ein Kommentar.

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Annegret Kramp-Karrenbauer ist keine, die sich lange mit Verteidigungsgefechten aufhält. Die CDU-Vorsitzende und Verteidigungsministerin ist am Donnerstag erneut in die inhaltliche Offensive gegangen und hat in einer außen- und sicherheitspolitischen Grundsatzrede und einem flankierenden Interview gleich eine ganze Reihe von teils provokanten Vorschlägen gemacht. Erneut zeigt sich, dass die Verteidigungsministerin insgesamt eine klare und kohärente Vorstellung davon hat, wo es mit der Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands in den nächsten Jahren hingehen soll.

Sie zeichnet das Bild eines verantwortungsvolleren und mutigeren Deutschlands in einem verantwortungsvolleren und mutigeren Europa – und man kann sich nur wünschen, dass sie es schaffen wird, Deutschland und Europa dieser Vorstellung ein bisschen näher zu bringen. Im Einzelnen aber bleiben, wie schon in der Vergangenheit, viele Fragen offen.

Annegret Kramp-Karrenbauer beschreibt das bekannte außenpolitische Dilemma

In ihrer Rede an der Universität der Bundeswehr in München und in ihrem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ beschreibt Annegret Kramp-Karrenbauer zunächst das bekannte außen- und sicherheitspolitische Dilemma: eine multipolare Welt voller Cyber-Gefahren, russische Aggressionen, Terrorismus, der Aufstieg Chinas, der Rückzug der Amerikaner von der Weltbühne. So weit, so bekannt. Dem hält sie einerseits eine neue sicherheitspolitische Psychologie entgegen, andererseits benennt sie mehrere Regionen, in denen Deutschland aktiver sein müsse:

-          Sie tritt für eine Stabilisierung der Sahelzone ein und
-          fordert ein „klares Zeichen der Solidarität“ mit Partnern wie Australien, Japan, Südkorea und Indien im indo-pazifischen Raum, die sich von „Chinas Machtanspruch zunehmend bedrängt fühlen“.

Damit Deutschland aktiver werden könne, brauche es

-          einen „Sicherheitsrat auf nationaler Ebene“,
-          einen Ausbau des „E3-Formats“, also der Zusammenarbeit zwischen Großbritannien, Frankreich und Deutschland wie im Zuge des Iran-Abkommens und
-          die Vereinfachung und Beschleunigung der parlamentarischen Meinungsbildung.
Ihren seit Wochen diskutierten Vorschlag einer Schutzzone in Syrien wiederholt sie interessanterweise nicht.

Im Detail bleiben nach AKKs Grundsatzrede viele Fragen offen

So sehr die Richtung stimmt, so wenig konkret wird die Ministerin. Das ist einerseits ein politisch-strategischer Fehler, denn die Vorschläge lassen sich von ihren zahlreichen Gegnern schnell so auslegen, dass sie als nicht machbar erscheinen. Das ist andererseits fahrlässig, denn als Ministerin müsste sie eigentlich zuerst eine Vorstellung von Machbarkeit und Umsetzung haben, bevor sie eine Idee lanciert. 

Das wird besonders deutlich bei ihrem Halbsatz zu einem politischen Engagement im Pazifik:
-          Was heißt denn ein „klares Zeichen der Solidarität“ mit Australien, Japan und Südkorea, aber auch Indien? Geopolitisch ist der Vorschlag brisant. Deutschland versucht bislang, sich so wenig wie möglich direkt mit China anzulegen. Angela Merkels Linie ist eher die des mahnenden Gesprächs. ...

Ähnlich unklar bleibt auch ihr Vorschlag für einen „Sicherheitsrat auf nationaler Ebene“. Dieser Vorschlag wird schon lange in sicherheitspolitischen Kreisen diskutiert. Unter anderem der ehemalige Diplomat und Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, setzt sich dafür ein. Zuletzt belebte die amerikanische Sicherheitsexpertin Julianne Smith in diesem Jahr die Debatte in Berlin wieder. Smith arbeitete lange im Pentagon und war außenpolitische Beraterin in der Regierung Obama – und als Fellow der Robert-Bosch-Academy bis zum Sommer länger in Berlin.

Die Vorstellungen, wie ein solcher Rat in Deutschland aussehen könnte, gehen aber weit auseinander: Wäre das ein Rat aus Kabinettsmitgliedern? Eine eigene Stabsstelle mit vielen außenpolitischen Experten als Mitarbeitern? Wäre er im Kanzleramt angesiedelt? Wie würde man verhindern, dass der Rat nicht in Koalitionsstreitigkeiten politisiert wird? Welche Befugnisse hätte er überhaupt in einem Land mit einer Parlamentsarmee? Auch hier müsste AKK einiges konkretisieren, damit man ihren Vorschlag wirklich diskutieren kann.

Bei aller Kritik im Detail: Die Vorschläge der Verteidigungsministerin fügen sich zu einem sinnvollen Ganzen zusammen

Trotz dieser Unsicherheiten im Detail sind die Vorschläge, die die Verteidigungsministerin macht, von großem Wert. Sie stehen in einer Reihe mit den vielen anderen provokanten Vorschlägen, die AKK gemacht hat, seit sie in den innerparteilichen Wahlkampf um den Parteivorsitz eingetreten ist und verstärkt, seit sie Verteidigungsmi- nisterin ist: In all dem ist ein politisches Konzept zu erkennen: Ein außen- und sicherheitspolitisch stärkeres Deutschland braucht eine militärisch starke Bundeswehr, aber auch eine, die in der Gesellschaft stärker verankert ist. Und es braucht eine Gesellschaft, die diese Einsätze mitträgt.

Für eine Bundeswehr in der Mitte der Gesellschaft fordert AKK ein öffentliches Gelöbnis, die Gratisfahrt in Zügen für Soldaten in Uniform und spricht stets von „unserer Bundeswehr“. Ein Nationaler Sicherheitsrat könnte das geopolitische Denken stärker in den Fokus rücken und gesellschaftliche Akzeptanz schaffen.

Wie weit das Land schon gekommen ist, zeigt sich auch daran, dass die Verteidigungsministerin gleich zwei in der Vergangenheit sehr umstrittene Sätze in ihre Rede schmuggeln kann: Eine Anleihe an Peter Strucks Satz von der Verteidigung der deutschen Sicherheit am Hindukusch (AKK: „Die Sicherheit in der Sahelzone ist Teil unserer Sicherheit.“) und das Interesse Deutschlands an der Verteidigung freier Handelswege – ein Diktum, das noch 2010 den damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler derart unter Druck brachte, dass er zurücktrat.

Dennoch ist Deutschland noch weit davon entfernt, mehr Auslandseinsätze zu akzeptieren und eine fundierte, offene und weniger moralisch-hysterische Debatte über Deutschlands Interessen zu führen. Und natürlich steht alles unter dem Vorbehalt, dass die Bundeswehr die richtige Ausrüstung bekommt – wie der Wehrbeauftragte natürlich sofort am Donnerstag forderte. Doch insgesamt könnte der Weg, den AKK vorschlägt, der richtige sein, um ein sicherheitspolitisches Coming-of-Age zu befördern. Es ist dringend nötig, dass Deutschland sicherheitspolitisch erwachsen wird.


aus Tagesspiegel.de, 9. 11. 2019

... Am Abend führte von der Leyen bei ihrer Europa-Rede auf Einladung der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung und der Stiftung Zukunft Berlin in Berlin ihre Überlegungen zur künftigen Migrationspolitik noch weiter aus. Auch denjenigen Staats- und Regierungschefs in der EU, die den Verteilmechanismus blockieren, sei klar, „dass das Phänomen der Migration nicht einfach weggeht“, sagte sie. Es sei eine „gute Nachricht“, dass auch den Gegnern eines Verteilmechanismus klar sei, dass jeder Mitgliedstaat solidarisch zu einer nachhaltigen Lösung beitragen müsse. „Ich glaube, dass es ein Fenster für einen Neustart beim Thema Migration gibt“, sagte sie. Allerdings fügte von der Leyen auch hinzu: „Eine einfache Lösung habe ich auch nicht im Köcher.“

Zudem erklärte die designierte Kommissionschefin, dass „soft power“ heute für die Europäer alleine nicht mehr ausreiche, wenn sie sich in der Welt behaupten wollten. „Europa muss auch die Sprache der Macht lernen“, sagte sie. Das bedeute unter anderem, dass die EU „eigene Muskeln aufbauen“ müsse, „wo wir uns lange auf andere stützen konnten – etwa in der Sicherheitspolitik“. Darüber hinaus müsse die vorhandene Kraft gezielter eingesetzt werden, wo es um europäische Interessen gehe. Als Beispiel nannte von der Leyen die Handelsbeziehungen zwischen der EU und China. „Wir können die Bedingungen beeinflussen, zu denen wir Geschäfte machen – und wir tun dies längst“, erklärte sie. Die EU müsse künftig stärker darauf achten, dass sich Unternehmen, die in den Ländern der Gemeinschaft investieren, auch an die hiesigen Standards halten, etwa was Arbeitsbedingungen und Umweltschutzvorschriften angehe.


Nota. - Hollaho! Dass er scharwenzelt, kennt man vom Tagesspiegel, aber nicht, dass er auf die Pauke haut. Will er sich zum heutigen Jahrestag ein neues Standing schaffen? Meinen Segen hätte er.
JE

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