aus Tagesspiegel.de, 13. 3. 2021 Flüchtlingskrise 2015: Warteschlange in Berlin
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In großen Krisen vertraut der Mensch auf den Staat. Wenn die Privatwirtschaft nicht mehr funktioniert, die Zivilgesellschaft den Kopf einzieht, dann schlägt die große Stunde der Beamten und der Behörden. Sie bewahren die Übersicht, wenn andere im Chaos versinken. Sie verteilen die Ressourcen, sorgen für den fairen Ausgleich, für Sicherheit. So weit die Theorie. In der Praxis ist es anders. Es ist sogar genau anders herum.
In jeder der großen Krisen seit der Jahrtausendwende kommt statt Rettung die Überlastungs-anzeige. Beim Arbeitsamtsskandal des Jahres 2001 und dem Zusammenbruch des Finanzmarktes 2008, in der Migrationskrise von 2015, und zuletzt in der Corona-Pandemie: in all diesen Fällen bekamen die Behörden das Chaos nicht in den Griff. Sie verschärften die Probleme, anstatt Teil der Lösung zu sein.
Den Beamten ist kein Vorwurf zu machen. Ohne Zweifel geben sie ihr Bestes, die allermeisten jedenfalls. Doch ist es jedes Mal eine Ausnahme, immer nur ein Einzelfall, wenn eine Behörde in der Krise zusammenbricht und die Mitarbeiter sich in den Burnout getrieben fühlen? Ist das ewige Lied von zu wenig Geld und Planstellen richtig? Oder gibt es ein generelles Problem, das Behörden anfällig macht, wo sie widerstandsfähig sein müssten? Vieles spricht dafür, dass es so ist. Das generelle Problem heißt Führung, und es heißt Informationstechnologie.
Seit Jahren bemüht sich die Bundesregierung um eine digitale Agenda, aber für den öffentlichen Dienst gibt es immer noch keine. Statt einer gibt es fünf Verantwortlichkeiten in fünf unterschiedlichen Ministerien, plus Kanzleramt. Ein milliardenschweres Desaster – vom elektronischen Datenabgleich in den Jobcentern über die digitale Registrierung von Flüchtlingen bis zur Nachverfolgung von Infektionsketten – ist nur der Vorbote für das nächste.
Aus Angst vor der nächsten Bauchlandung bewirbt sich kein Politiker mehr darum, das Steuerrad übernehmen zu dürfen. Statt aus einer Krise für alle Behörden zu lernen, werden Insellösungen für die jeweils betroffenen Ämter geschaffen. Deshalb muss in jeder Katastrophenlage alles neu gelernt werden.
Künftig wird es vermutlich noch häufiger als heute Krisen geben. Sie werden sich weder an einen Zeitplan halten, noch werden sie aufs Organigramm einer Behörde schauen, bevor sie ihren Schrecken verbreiten. Sie werden einfach da sein. Wenn das Vertrauen der Bürger, sich im Katastrophenfall auf den Staat verlassen zu können, von Krise zu Krise weiter erodiert, stehen sehr ungemütliche Zeiten bevor. Ganz ohne Anlass ist übrigens am 10. September des vergangenen Jahres das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenschutz zusammengebrochen - bei einem Probealarm.
Nota. - "Herr E., Sie wissen doch, wie das System funktioniert!" - Nein, habe ich geantwortet, einem System bin ich hier auf ihren Fluren nie begegnet; immer nur Leuten, die dies getan und jenes unterlassen haben. "Den Beamten ist kein Vorwurf zu machen. Ohne Zweifel geben sie ihr Bestes." Ich habe nicht nur Zweifel. Ich weiß positiv, dass es nicht so ist. "System"? Es besteht daraus, dass sie mit allem immer durchkommen, weil eine* die* andere deckt. Doch sagen Sie das mal in der Öffentlichkeit! Ein Politiker schubst den andern beiseite, um zu beteuern: "Die Beamten tun ihr Bestes, jedenfalls die meisten!" Und jeder von uns Verwalteten kann ein Lied davon singen...
JE
Nota. Das
obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie
der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht
wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.
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