aus derStandard.at, 18. März 2021 Eine Barrikade der Pariser Kommune in den Straßen der französischen Hauptstadt im Jahr 1871
Wird Emmanuel Macron die Chuzpe aufbringen, auf dem Friedhof Père-Lachaise, wo die Regierungstruppen am Pfingstsonntag des Jahres 1871 die letzten 147 der insgesamt rund 25.000 getöteten Kommunarden und Kommunardinnen ohne Prozess exekutierten, einen Kranz niederzulegen? Vermutlich überlässt er es der sozialdemokratischen Bürgermeisterin von Paris, Anne Hidalgo, ein Bäumchen am Montmartre zu pflanzen.
Kein Ereignis der französischen Geschichte spreizt sich so sehr gegen die nationale Vereinnahmung wie die Pariser Kommune. Noch immer trägt es Stacheln, die von der Gedenkkultur zwar gestutzt wurden, aber immer wieder nachwuchsen. Schon die Dritte Republik (1870–1940) versuchte – mit dem üblichen Pathos der nationalen Versöhnung – sich als schöpferische Frucht eines unglückseligen Bürgerkriegs darzustellen, als wollte sie verkünden: Wir haben sie nicht umsonst erschossen und einige ihrer für damalige Verhältnisse zu voreiligen Anregungen beherzigt: Trennung von Kirche und Staat, zumindest rechtliche Gleichstellung der Geschlechter und ... – nun ja mit dem kostenlosen Bildungssystem für alle hat es dann doch nicht so richtig geklappt.
Linke Kommentatoren werden die heroischen Proletarier der Kommune erwartungsgemäß mit den "Gilets jaunes" vergleichen, andere werden mit dem Hinweis widersprechen, der Kern der Gelbwesten rekrutiere sich aus dem unteren Mittelstand, wieder andere werden dagegenhalten, dass es sich mit den Kommunarden nicht anders verhielt und deren proletarischer Charakter eine marxistische Projektion sei. Und sie werden teilweise recht haben damit, denn den treibenden Motor der Kommune bildeten wirklich Kleinbürger, Handwerker, aber im Gegensatz zu den "Gilets jaunes" waren das hochgebildete "petits bourgeois" mit konkreten gesellschaftspolitischen Visionen, die dem Proletariat die Schwesterhand reichten, und dieses stellte nachweislich dann doch das Gros der Verteidiger der Kommune.
In den zwei Monaten ihres
Bestehens erließ die Kommune Mietschulden, führte unentgeltliche
Schulbildung ein, beschloss die totale Gleichstellung der Geschlechter
(inklusive gleicher Löhne), glich die Gehälter von Beamten und Arbeitern
an, wandelte Fabriken in Arbeitergenossenschaften um, verbot
Lohnkürzungen und Nachtarbeit, schaffte das stehende Heer ab,
konfiszierte Kirchengüter und nahm überhaupt die radikale
Demokratisierung aller gesellschaftlichen Bereiche in Angriff.
Ausländern wurden in Paris sofort die Bürgerrechte zuerkannt. Ein
zentraler Grund aber, warum jede nationale Vereinnahmung an der Kommune
abgleitet: Ihre Protagonisten einigte trotz aller weltanschaulichen
Differenzen die leidenschaftliche Ablehnung der Nation als
institutionalisierter Lüge der besitzenden Klassen zur Harmonisierung
sozialer Gegensätze. Paris machte sich von Frankreich unabhängig. "Unser
Schlachtruf", frohlockte der Geograf Élisée Reclus, "lautet nicht
länger ,Lang lebe die Republik‘. Er lautet: ,Lang lebe die
Weltrepublik‘." ...
Le mur des fédérés auf dem Friedhof Père Lachaise
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen