Freitag, 19. März 2021

Tage der Commune.

aus welt.de, 18. 3. 2021                                                                             Nationalgardisten beim Barrikadenbau

„Der Boden von Paris ist mit Leichen bedeckt“
Nach der Kapitulation Frankreichs 1871 proklamierte sich in der Hauptstadt eine radikale Republik. Die Pariser Kommune wurde zum Idealbild der „Diktatur des Proletariats“. Nach 72 Tagen wurde sie von Regierungstruppen blutig exekutiert. 
 

Das ist einigermaßen erstaunlich. Denn zunächst einmal war die Pariser Kommune das Ergebnis eines zweifach verlorenen Krieges. Am 19. Juli 1870 hatte die Regierung Napoleons III. Preußen den Krieg erklärt, der sechs Wochen später in der vernichtenden Niederlage gegen die deutschen Armeen bei Sedan endete. Nach dem Sturz des Kaiserreichs war in Paris die Dritte Republik proklamiert worden, die den Krieg fortsetzte, sich aber am 28. Januar 1871 dem Deutschen Reich geschlagen geben musste, das seine neue Hegemonialstellung in Europa durch den demütigenden Gründungsakt im Schloss von Versailles inszeniert hatte.

„Frieden schließen und Paris unterwerfen“: Adolphe Thiers (1797–1877), „Chef der Exekutive“

Um einen schnellen Frieden zu schließen, drängte Reichskanzler Otto von Bismarck auf Neuwahlen für die französische Nationalversammlung. Diese erbrachten zwar eine monarchistische Mehrheit, doch konnte der neue Ministerpräsident Adolphe Thiers die Systemfrage offenhalten und seine Regierung damit auf ein breites bürgerlich-konservativ-liberales Fundament stellen, das auch durch die deutschen Forderungen nach Abtretung von Elsass und Lothringen sowie Reparationen in Höhe von fünf Milliarden Francs nicht erschüttert wurde.

Während die meisten Linientruppen entwaffnet wurden und die Deutschen einige Forts von Paris besetzten, behielten die etwa 200.000 Mann der Nationalgarde unter dem Befehl der kommunalen Verwaltung ihre Ausrüstung. Diese hatte sich am 15. März als „Republikanische Föderation der Nationalgarde“ unter Führung eines Zentralkomitees konstituiert. Als Regierungstruppen am 18. März darangingen, etwa 400 Kanonen, die von den Gardisten auf dem Montmartre zusammengezogen worden waren, zu beschlagnahmen, kam es zum Aufstand. Offiziere wurden erschossen, Regierungsbeamte verließen die Stadt und zogen nach Versailles, wo Regierung und Nationalversammlung ihren Sitz genommen hatten.

Barrikade der Kommune

Daraufhin erklärte das Zentralkomitee der Nationalgarde Paris für autonom und setzte Wahlen für einen Gemeinderat an. Dessen linke Mehrheit wurde durch eine Nachwahl im April – Abgeordnete aus bürgerlichen Arrondissements hatten sich zurückgezogen – noch einmal gestärkt. Diese Kommune erklärte sich zur Republik, die „jedem Franzosen die volle Ausübung seiner Fähigkeiten und Fertigkeiten, als Mensch, Bürger und Arbeiter“ garantierte. Die Umsetzung sollten Ausschüsse übernehmen.

Mit 170.000 regulären Soldaten, die die Deutschen aus der Kriegsgefangenschaft entließen, begann die Regierung Thiers die Belagerung, die in der Stadt zu einer Radikalisierung führte. Schließlich übernahm ein „Wohlfahrtsausschuss“ die Macht. Doch weder dessen Diktatur noch die Barrikaden konnten den Vormarsch der Regierungstruppen stoppen.

Leichen erschossener Kommunarden

In der „blutigen Maiwoche“ vom 21. bis 28. Mai wurde die Kommune zerschlagen. Viele öffentliche Gebäude wie das Rathaus gingen in Flammen auf. Rund 20.000 Pariser wurden Opfer der Kämpfe oder Standgerichte; die letzten 147 Kommunarden wurden an der Mauer des Friedhofs Père Lachaise erschossen, Tausende nach Neukaledonien deportiert.

War das ein Klassenkampf? Was die Mehrheitsverhältnisse in den verfeindeten Blöcken angeht, gewiss. In der Nationalversammlung hatten Besitzbürgertum und Landbesitzer das Sagen, während in Paris Arbeiter, Handwerker, Kleinbürger und Intellektuelle ihre Interessen artikulierten. Doch die hatten weniger mit Sozialismus als mit der spezifischen Situation zu tun. Zum einen ging es um die Besoldung der Nationalgarde, die für ihre Mitglieder wegen des Fehlens alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten existenziell war. Zum anderen um den Erlass von Miet- und Geschäftsschulden und die Rückgabe verpfändeten Eigentums.

   

In diese Richtung wiesen auch das Verbot von Nachtarbeit in Bäckereien und die Enteignung stillgelegter Fabriken. Aber an den Eigentumsverhältnissen änderte sich nichts. Zwar wurden einige Kirchen und Kongregationen geschlossen und Vermögen von „Verrätern“ eingezogen. Aber die Banque de France, in deren Tresoren Milliarden lagen, konnte weiterarbeiten, nachdem sie der Kommune Kredite über gut 16 Millionen Franc gewährt hatte.

Überhaupt lassen sich die Forderungen und Illusionen, die sich auf den Straßen und Klubs artikulierten, nicht auf einen Nenner bringen. Da gab es Zentralisten und solche, die föderativ-kommunalen Ideen anhingen. Radikale Sozialisten, Anarchisten, Chauvinisten, aber auch Liberale, denen eine bürgerliche Republik vor Augen stand. Nicht umsonst sollte die von der Kommune dekretierte Trennung von Staat und Kirche später von den Siegern übernommen werden.

Das Pariser Rathaus war eine ausgebrannte Ruine

Gemeinsam waren dieser „Mischung aus Straße, Literatur, Utopie und Demagogie“, wie es der Kulturhistoriker Wolfgang Schivelbusch formuliert hat, nicht die Ziele, sondern die Erfahrun-gen des verlorenen Krieges und die Erinnerungen, die sich mit ihm verbanden. Viereinhalb Monate hatte Paris der Belagerung standgehalten, ohne rechte Vorstellung von dem, was im Lande vor sich ging.

Das waren eben nicht nur die Armeen der „Levée en masse“, die zum Entsatz heranrückten (und von den Deutschen geschlagen wurden), sondern von bürgerlichen Notabeln beherrschte Städte, die am liebsten bereits nach Sedan ihren Frieden mit dem Gegner geschlossen hätten. Die Hoffnung der Kommune, dass ihr Vorbild auch andere Städte zum Aufstand veranlassen würde, erfüllte sich kaum.

Wie unter einer Käseglocke hatte jeder der acht gescheiterten Ausbruchsversuche in Paris die Debatte über Schuld und Unvermögen angeheizt. Die Folie dafür lieferte die Erinnerung an frühere Revolutionen, die von 1848, deren Scheitern Napoleon III. an die Macht gebracht hatte, die von 1830 und natürlich die von 1789. Im Grunde schien sich die Geschichte zu wiederholen. Auch damals war die Hauptstadt Herz und Schwungrad des Umbruchs gewesen. Auch damals hatte es Verräter gegeben, die sich dem Feind ergeben hatten – wie 1870 die Armee des Marschalls Bazaine in Metz. Auch damals hatte die Provinz sich der Hauptstadt widersetzt.

Doch die „Levée en masse“ hatte damals alles zum Guten gewendet und Invasoren und Royalisten vernichtet. Mit Härte hatten die radikalen Jakobiner über die gemäßigten Girondisten (in deren Heimat Bordeaux sich die 1871 gewählte Nationalversammlung konstituiert hatte) triumphiert. Selbst der „Große Terror“ des Wohlfahrtsausschusses wurde als Heilsbringer verklärt. Dass im Mai 1871 erneut einem solchen Gremium die Diktatur übertragen wurde, die seinem Vorbild mit der Erschießung von Geiseln nachstrebte, sagt einiges aus über die historischen Wegweiser, die den Kommunarden als Orientierung dienten.

Dieses Pathos der großen Revolution leitete die Gegenseite nicht. Ihr standen vor allem die sozialen Gegensätze vor Augen, die sich in 1830 und 1848 entladen hatten. Thiers etwa hatte schon 23 Jahre zuvor auf Stärke gesetzt und auch jetzt sein Programm mit den Worten zusammengefasst: „Frieden schließen und Paris unterwerfen“. Das Instrument dafür war die Armee, deren Führung eine Chance sah, sich nach ihren desaströsen Leitungen im Krieg gegen die Deutschen zu rehabilitieren.

Die Armee ging mit großer Brutalität vor

Das erklärt die Wut zur Vernichtung, mit der die Offiziere vorgingen. „Für ein Ja oder Nein wird man festgenommen und erschossen“, zitiert der Publizist Thankmar von Münchhausen einen Zeugen der ebenso massenhaften wie wahllosen Exekutionen. Am Ende konnte Thiers erklären: „Der Boden von Paris ist mit ihren Leichen bedeckt“, was im Übrigen die Überzeugung von Marx und Engels konterkarierte, der Sieg des Proletariats sei eine historische Gesetzmäßigkeit.

Doch diese Blutorgie begründete den Mythos der Kommune und ihres heroischen Kampfes für Gleichheit und Gerechtigkeit. Die Opfer und ihre schillernden Botschaften machten es vielen möglich, sich zu ihren Erben zu erklären.


Nota. - Die autonome Kommune von Paris ist nicht proklamiert worden, weil Revolutionäre ein Programm im Sinne hatten oder weil die Arbeiterklasse den Sozialismus einführen wollte. Die Kommune "hatte weniger mit Sozialismus als mit der spezifischen Situation zu tun". Eine Massenrevolution, eine proletarische Revolution zumal, wird nicht aus Programmen entstehen, die in den Köpfen ersonnen wurden, sondern weil eine "spezifische Situation" eingetreten ist, die sie unumgänglich macht.

In der gewählten Kommune-Vertretung hatte die Internationale Arbeiterassoziation alias "Erste Internationale" (die noch keineswegs "marxistisch" war) kaum ein Drittel der Sitze, die meisten Vertreter waren Anhänger der Lehre von Pierre-Josèphe Proudhon, der eine vom Kapitalismus befreite Gesellschaft ohne Revolution (die ja schon immer zu Scheitern verurteilt war) durch allmähliche Ausweitung des Genossenschaftswesens einführen wollte. Seine Lehre hatte nach dem Desaster vom Juli 1848 die französische Arbeiterbewegung mit dem Dogma des Antipolitischen neu begründet und zugleich gelähmt. Die Internationalen hatten dagegen eine  schweren Stnd gehabt - bis über Nacht die "spezifische Situation" eintrat, dass die Kano-nen auf dem Montmartre nun einmal verteidigt werden mussten.

Militärisch war die Kommune nicht zu halten, und außerhalb der Hauptstadt war die Arbei-terbewegung noch viel zu schwach, um ihr zu Hilfe zu eilen. Das Blutopfer der Kommunar-den hatte nur den einen Gewinn, die antipolitischen Mythen Proudhons über Nacht beiseite zu fegen. 

Den Mythos der Nation hat sie nicht beiseite gefegt, und das sollte sich ein knappes halbes Jahrhundert darauf bitter auszahlen.

JE

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