Mittwoch, 11. November 2020

Die Kelten links und rechts des Rheins.

 

aus Badische Zeitung, 3. November 2020                      Ein fast komplettes keltisches Kleingefäß vom Schlossberg in Neuenbürg, etwa zehn Zentimeter hoch

Was Dahrendorf-Preis-Träger Steeve Gentner an den Kelten fasziniert

Gab es zur Zeit der Kelten beidseits des Rheins die gleiche Kultur? Für seine Promotion zu dem Thema erhält Steeve Gentner den Ralf-Dahrendorf-Preis. 8000 Scherben prüfte er für seine Arbeit.

 Von Jens Schmitz   

Seine Arbeit bringt nicht nur Licht in die regionale Geschichte, sondern auch Forscher und ihre Methoden zusammen: Der diesjährige Träger des vom Badischen Verlag gestifteten Ralf-Dahrendorf-Preises für wissenschaftlichen Nachwuchs ist Elsässer und wurde mit einer Dissertation über keltische Keramik in Baden-Württemberg promoviert.
 

BZ: Herr Gentner, Scherben bringen Glück, heißt es – Sie wurden für eine Arbeit ausgezeichnet, die zu großen Teilen aus Skizzen kleiner Keramikstücke besteht. Wie viele haben Sie geprüft?

Gentner: Etwa 8000 Scherben. Bei solchen Höhensiedlungen, wie ich sie untersucht habe, gibt es viele Erosionsprozesse, und die verkleinern die Bruchstücke. Es ist eine Besonderheit, dass man da erst einmal keine richtigen Reste hat, sondern zuerst wieder kleben muss. Das ist wochenlange Puzzlearbeit.

BZ: Bei den Kelten werden Hallstatt-Kultur und Latène-Zeit unterschiede. Aus welcher Zeit stammen Ihre Untersuchungsgegenstände?

Gentner: Vorwiegend aus der Früh-Latène-Zeit. Da hat man Menschen, die manchmal noch Traditionen der Hallstatt-Kultur pflegen, aber trotzdem schon anders arbeiten. Die Welten wechseln nicht unbedingt, aber die Mode.

BZ: Also Farbe, Muster und Form?

Gentner: Ja. Und ab der Spät-Hallstatt-Zeit setzt sich etwas sehr Wichtiges in unserem Gebiet durch, nämlich die Töpferscheibe. Das wirkt sich auf die Keramikformen aus.

BZ: Welches Gebiet genau haben Sie untersucht?

 

Sense und zwei Beile aus der keltischen Siedlung vom Schlossberg bei Neuenbürg

 
Gentner:
Ich habe eine Serie von Altfunden und Altgrabungen aus vier Höhensiedlungen in Baden-Württemberg studiert. Drei im Nordschwarzwald und eine im Kraichgau. Die im Kraichgau ist ziemlich berühmt, das ist der Michelsberg, den man vor allem für seine Funde vom Ende der Jungsteinzeit kennt. Im Nordschwarzwald ging es um die Fundorte Neuenbürg, Nagold und Calw.

BZ: Warum gerade diese Region? Und warum gerade Scherben?

Gentner: Ich komme aus der Region von Haguenau in Frankreich, das ist ja nicht weit. In Neuenbürg habe ich schon als Student ausgegraben. Da kam so viel Material zutage, dass es hieß, wir brauchen jemanden, der das auswertet. Das war dann zunächst meine Masterarbeit. Was mir damals sehr gefallen hat, war, dass ich schon auf dem Gelände war und danach das eigene Material auswerten konnte. Das war eine sehr coole Sache. So bin ich im Lauf der Zeit auf das Thema gekommen.

 
Wer waren die Kelten?
 
"Kelten" ist ein Sammelbegriff für Volksgruppen der Eisenzeit, die zwischen 800 vor Christus und der Zeitenwende nördlich der Alpen lebten. Die Griechen und Römer nannten sie Keltoi und Galli, von den vielen Stämmen selbst sind so gut wie keine Selbstbeschreibungen überliefert. Ihr Ausgangsbereich umfasste das heutige Ostfrankreich, Südwestdeutschland, die nördliche Schweiz, Teile Bayerns und West-Österreich.

Archäologen unterscheiden zwei Hauptphasen: Die frühkeltische Hallstatt-Kultur (benannt nach einem Gräberfeld in Österreich) bildete sich zwischen 800 und 450 vor Christus aus. Als typisch gelten befestigte Höhensiedlungen, die von reich ausgestatteten Hügelgräbern umgeben waren. Insbesondere in Südwestdeutschland wurden hier Funde gemacht. Beispiele sind die Heuneburg, der Ipf, der Breisacher Münsterberg oder der Hohenasperg.  Aus dem westlichen Zweig der Hallstatt-Kultur entwickelte sich im fünften Jahrhundert vor Christus die Latène-Kultur (nach einem Fundort in der Schweiz). Aus bislang ungeklärten Gründen kam es in dieser Phase zu bedeutenden Abwanderungen und zu kriegerischen Vorstößen nach Süden. Die bisherigen Machtzentren verloren an Bedeutung; im vierten Jahrhundert wurden viele Siedlungen aufgegeben.

Erst ab der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts vor Christus entstanden wieder größere Anlagen, die heute in Anlehnung an Julius Cäsar Oppida genannt werden. Beispiele sind Finsterlohr bei Creglingen, Tarodunum bei Freiburg, die Doppelanlage Altenburg-Rheinau an der Schweizer Grenze oder der Heidengraben auf der Schwäbischen Alb.

Auch die zeitweise Eroberung Roms im vierten Jahrhundert vor Christus rettete die Kelten nicht davor, schließlich zwischen mediterranen und germanischen Einflüssen zu verschwinden.

Zu seinen Hochzeiten reichte der keltische Kultur- und Sprachkreis von Teilen der heutigen Türkei bis an die spanische Atlantikküste. Heute haben sich nennenswerte Reste davon nur noch in Wales, Schottland und Irland erhalten.

BZ: Warum interessieren Sie gerade die Kelten?

Gentner: Das war eine der größten vorzeitlichen Kulturen. Sie haben faszinierend viele Innovationen geschaffen: Holzfässer, Kettenhemden, große Tonflaschen, die es vorher nicht gab, Sensen und viele andere Werkzeuge aus Eisen, die wir heute noch verwenden.

BZ: Haben Sie die Funde lediglich klassifiziert oder konnten Sie auch schon Schlüsse ziehen?

Gentner: Natürlich muss man das alles im größeren Sinne behandeln. Da gibt es Wirtschafts- und Sozialfragen, wie die Leute lebten und wohin sie Beziehungen hatten. Und inzwischen wissen wir um ein ganzes Netz dieser kleineren Höhensiedlungen aus der Zeit. Linksrheinisch, in den Vogesen, kennt man das weniger. Deswegen grabe ich auch dort seit 2016, um Beispiele zu finden. Es gibt dort viele undatierte Höhenanlagen, die noch nicht gut bekannt sind. Eine aus der Spät-Hallstatt-Zeit haben wir schon gefunden – das heißt, dass es auch andere gibt. Und im Süden haben wir beispielsweise natürlich Breisach. Aber Breisach ist schon ein Größen-Zentralplatz gleich der Heuneburg oder dem Hohenasperg.

BZ: Der südliche Oberrheingraben ist reich an keltischen Fundstätten wie dem Breisacher Münsterberg oder Tarodunum bei Kirchzarten. Welche Unterschiede gibt es zum Nordschwarzwald?

Gentner: Tarodunum stammt aus der Spät-Latène-Zeit, das ist noch einmal 400 Jahre später. Die Orte im Nordschwarzwald sind kleinere Höhensiedlungen, die mit Montanindustrie zu tun haben, also mit Erzvorkommen und dergleichen. Es gibt rund um Neuenbürg viele Rennöfen-Befunde. In Calw ging es bestimmt um Kupfer oder Silber. Die Anlagen im Süden, wenn Sie Altenburg-Rheinau oder Tarodunum nehmen, sind später eher schon befestigte Großstädte. Die sind als Handelspunkte groß geworden. Natürlich ist der Nordschwarzwald nicht so berühmt. Aber die haben schon damals so viel Eisen produziert und exportiert, dass man sich fragen kann, ob das nicht ein sehr großer industrieller Ort war.

BZ: Wie kommen Sie darauf?

Gentner: Es gibt Analysen von Eisengegenständen aus anderen Regionen, wonach das Eisen zumindest aus dem Nordschwarzwald kam. Dann gibt es spezifisch geformte Eisenbarren, die ich auch alle für meine Dissertation aufgezählt habe: Auf rund 42 000 Quadratkilometern, von der Heuneburg bis Messein in Ostfrankreich und von Basel bis Mannheim, gibt es 483 im Rheintal. Die stammen natürlich von irgendwoher. Wir wissen aber nur von zwei Rennofen-Industriestandorten – Neuenbürg und das kleinere St. Johann bei Reutlingen.

BZ: Baden-Württembergs Landesarchäologe Dirk Krausse hat zu Ihren Gutachtern gehört. Neben großem Fleiß lobt er, dass Sie mit Ihrer systematischen Erfassung einen spezifisch französischen Forschungsansatz nach Deutschland gebracht hätten. Können Sie das etwas näher erläutern?

Gentner: Dieses System wenden wir in Frankreich seit Ende der 90er Jahre an. Wir bauen zum Beispiel aus den Formen der ganzen Keramikgefäße eine Typologie auf. Eine solche Klassifikation gab es schon fürs Elsass, die habe ich nach Baden-Württemberg exportiert. Wir ziehen dabei auch interdisziplinäre Teams zusammen. Das hat uns Fortschritte bei der Altersbestimmung beschert, wo klassische Labormethoden versagen. Das habe ich tatsächlich quasi über den Rhein gebracht. Dafür musste man natürlich jemanden finden, der zweisprachig ist. Und im Moment bin ich einer der wenigen Franzosen in meiner Disziplin, die gut Deutsch sprechen. Es ist für Kollegen auf beiden Seiten sehr interessant, wenn man enger miteinander forschen kann.

BZ: Kam dabei schon etwas heraus?

Gentner: Ein Ziel meiner Dissertation war zu schauen, ob es damals auf beiden Seiten des Rheins dieselbe Kultur gab. Heute kann man sagen, dass das Badische und das Elsässische als Dialekt quasi gleich sind. Aber war das damals schon so? Ich kann jetzt sagen: Ja, damals war schon quasi die gesamte Rheinkultur gleich. Da haben wir gute Daten erhalten, das war ein gutes Ergebnis.

Steeve Gentner (32) hat an der Universität Straßburg Ur- und Frühgeschichte studiert und wurde dort 2019 mit seiner Dissertation über Keramik, Wirtschaft und Gesellschaft am östlichen Oberrhein vom fünften bis dritten Jahrhundert vor Christus promoviert. 

Der Ralf-Dahrendorf-Preis dient der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg sowie der Universitäten Basel und Straßburg. Er wird vom Badischen Verlag gestiftet und ist mit 5000 Euro dotiert. Der Preis wird alle zwei Jahre für Arbeiten zur Oberrheinischen Landeskunde vergeben. Die Auswahl trifft ein Kuratorium der Universität Freiburg und des Badischen Verlags.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen