aus Badische Zeitung, 3. November 2020 Ein fast komplettes keltisches Kleingefäß vom Schlossberg in Neuenbürg, etwa zehn Zentimeter hoch
Gab es zur Zeit der Kelten beidseits des Rheins die gleiche Kultur? Für seine Promotion zu dem Thema erhält Steeve Gentner den Ralf-Dahrendorf-Preis. 8000 Scherben prüfte er für seine Arbeit.
Von Jens Schmitz
Seine Arbeit bringt
nicht nur Licht in die regionale Geschichte, sondern auch Forscher und
ihre Methoden zusammen: Der diesjährige Träger des vom Badischen Verlag
gestifteten Ralf-Dahrendorf-Preises für wissenschaftlichen Nachwuchs ist
Elsässer und wurde mit einer Dissertation über keltische Keramik in
Baden-Württemberg promoviert.
BZ: Herr Gentner, Scherben bringen Glück, heißt es –
Sie wurden für eine Arbeit ausgezeichnet, die zu großen Teilen aus
Skizzen kleiner Keramikstücke besteht. Wie viele haben Sie geprüft?
Gentner: Etwa 8000 Scherben. Bei solchen
Höhensiedlungen, wie ich sie untersucht habe, gibt es viele
Erosionsprozesse, und die verkleinern die Bruchstücke. Es ist eine
Besonderheit, dass man da erst einmal keine richtigen Reste hat, sondern
zuerst wieder kleben muss. Das ist wochenlange Puzzlearbeit.
BZ: Bei den Kelten werden Hallstatt-Kultur und Latène-Zeit unterschiede. Aus welcher Zeit stammen Ihre Untersuchungsgegenstände?
Gentner: Vorwiegend aus der Früh-Latène-Zeit. Da hat
man Menschen, die manchmal noch Traditionen der Hallstatt-Kultur
pflegen, aber trotzdem schon anders arbeiten. Die Welten wechseln nicht
unbedingt, aber die Mode.
BZ: Also Farbe, Muster und Form?
Gentner: Ja. Und ab der Spät-Hallstatt-Zeit setzt sich
etwas sehr Wichtiges in unserem Gebiet durch, nämlich die Töpferscheibe.
Das wirkt sich auf die Keramikformen aus.
BZ: Welches Gebiet genau haben Sie untersucht?
Sense und zwei Beile aus der keltischen Siedlung vom Schlossberg bei Neuenbürg
Gentner: Ich habe eine Serie von Altfunden und
Altgrabungen aus vier Höhensiedlungen in Baden-Württemberg studiert.
Drei im Nordschwarzwald und eine im Kraichgau. Die im Kraichgau ist
ziemlich berühmt, das ist der Michelsberg, den man vor allem für seine
Funde vom Ende der Jungsteinzeit kennt. Im Nordschwarzwald ging es um
die Fundorte Neuenbürg, Nagold und Calw.
BZ: Warum gerade diese Region? Und warum gerade Scherben?
Gentner: Ich komme aus der Region von Haguenau in
Frankreich, das ist ja nicht weit. In Neuenbürg habe ich schon als
Student ausgegraben. Da kam so viel Material zutage, dass es hieß, wir
brauchen jemanden, der das auswertet. Das war dann zunächst meine
Masterarbeit. Was mir damals sehr gefallen hat, war, dass ich schon auf
dem Gelände war und danach das eigene Material auswerten konnte. Das war
eine sehr coole Sache. So bin ich im Lauf der Zeit auf das Thema
gekommen.
Archäologen unterscheiden zwei Hauptphasen: Die frühkeltische Hallstatt-Kultur (benannt nach einem Gräberfeld in Österreich) bildete sich zwischen 800 und 450 vor Christus aus. Als typisch gelten befestigte Höhensiedlungen, die von reich ausgestatteten Hügelgräbern umgeben waren. Insbesondere in Südwestdeutschland wurden hier Funde gemacht. Beispiele sind die Heuneburg, der Ipf, der Breisacher Münsterberg oder der Hohenasperg. Aus dem westlichen Zweig der Hallstatt-Kultur entwickelte sich im fünften Jahrhundert vor Christus die Latène-Kultur (nach einem Fundort in der Schweiz). Aus bislang ungeklärten Gründen kam es in dieser Phase zu bedeutenden Abwanderungen und zu kriegerischen Vorstößen nach Süden. Die bisherigen Machtzentren verloren an Bedeutung; im vierten Jahrhundert wurden viele Siedlungen aufgegeben.
Erst ab der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts vor Christus entstanden wieder größere Anlagen, die heute in Anlehnung an Julius Cäsar Oppida genannt werden. Beispiele sind Finsterlohr bei Creglingen, Tarodunum bei Freiburg, die Doppelanlage Altenburg-Rheinau an der Schweizer Grenze oder der Heidengraben auf der Schwäbischen Alb.
Auch die zeitweise Eroberung Roms im vierten Jahrhundert vor Christus rettete die Kelten nicht davor, schließlich zwischen mediterranen und germanischen Einflüssen zu verschwinden.
Zu seinen Hochzeiten reichte der keltische Kultur- und Sprachkreis von Teilen der heutigen Türkei bis an die spanische Atlantikküste. Heute haben sich nennenswerte Reste davon nur noch in Wales, Schottland und Irland erhalten.
BZ: Warum interessieren Sie gerade die Kelten?
Gentner: Das war eine der größten vorzeitlichen
Kulturen. Sie haben faszinierend viele Innovationen geschaffen:
Holzfässer, Kettenhemden, große Tonflaschen, die es vorher nicht gab,
Sensen und viele andere Werkzeuge aus Eisen, die wir heute noch
verwenden.
BZ: Haben Sie die Funde lediglich klassifiziert oder konnten Sie auch schon Schlüsse ziehen?
Gentner: Natürlich muss man das alles im größeren Sinne
behandeln. Da gibt es Wirtschafts- und Sozialfragen, wie die Leute
lebten und wohin sie Beziehungen hatten. Und inzwischen wissen wir um
ein ganzes Netz dieser kleineren Höhensiedlungen aus der Zeit.
Linksrheinisch, in den Vogesen, kennt man das weniger. Deswegen grabe
ich auch dort seit 2016, um Beispiele zu finden. Es gibt dort viele
undatierte Höhenanlagen, die noch nicht gut bekannt sind. Eine aus der
Spät-Hallstatt-Zeit haben wir schon gefunden – das heißt, dass es auch
andere gibt. Und im Süden haben wir beispielsweise natürlich Breisach.
Aber Breisach ist schon ein Größen-Zentralplatz gleich der Heuneburg
oder dem Hohenasperg.
BZ: Der südliche Oberrheingraben ist reich an
keltischen Fundstätten wie dem Breisacher Münsterberg oder Tarodunum bei
Kirchzarten. Welche Unterschiede gibt es zum Nordschwarzwald?
Gentner: Tarodunum stammt aus der Spät-Latène-Zeit, das
ist noch einmal 400 Jahre später. Die Orte im Nordschwarzwald sind
kleinere Höhensiedlungen, die mit Montanindustrie zu tun haben, also mit
Erzvorkommen und dergleichen. Es gibt rund um Neuenbürg viele
Rennöfen-Befunde. In Calw ging es bestimmt um Kupfer oder Silber. Die
Anlagen im Süden, wenn Sie Altenburg-Rheinau oder Tarodunum nehmen, sind
später eher schon befestigte Großstädte. Die sind als Handelspunkte
groß geworden. Natürlich ist der Nordschwarzwald nicht so berühmt. Aber
die haben schon damals so viel Eisen produziert und exportiert, dass man
sich fragen kann, ob das nicht ein sehr großer industrieller Ort war.
BZ: Wie kommen Sie darauf?
Gentner: Es gibt Analysen von Eisengegenständen aus
anderen Regionen, wonach das Eisen zumindest aus dem Nordschwarzwald
kam. Dann gibt es spezifisch geformte Eisenbarren, die ich auch alle für
meine Dissertation aufgezählt habe: Auf rund 42 000 Quadratkilometern,
von der Heuneburg bis Messein in Ostfrankreich und von Basel bis
Mannheim, gibt es 483 im Rheintal. Die stammen natürlich von
irgendwoher. Wir wissen aber nur von zwei Rennofen-Industriestandorten –
Neuenbürg und das kleinere St. Johann bei Reutlingen.
BZ: Baden-Württembergs Landesarchäologe Dirk Krausse
hat zu Ihren Gutachtern gehört. Neben großem Fleiß lobt er, dass Sie mit
Ihrer systematischen Erfassung einen spezifisch französischen
Forschungsansatz nach Deutschland gebracht hätten. Können Sie das etwas
näher erläutern?
Gentner: Dieses System wenden wir in Frankreich seit
Ende der 90er Jahre an. Wir bauen zum Beispiel aus den Formen der ganzen
Keramikgefäße eine Typologie auf. Eine solche Klassifikation gab es
schon fürs Elsass, die habe ich nach Baden-Württemberg exportiert. Wir
ziehen dabei auch interdisziplinäre Teams zusammen. Das hat uns
Fortschritte bei der Altersbestimmung beschert, wo klassische
Labormethoden versagen. Das habe ich tatsächlich quasi über den Rhein
gebracht. Dafür musste man natürlich jemanden finden, der zweisprachig
ist. Und im Moment bin ich einer der wenigen Franzosen in meiner
Disziplin, die gut Deutsch sprechen. Es ist für Kollegen auf beiden
Seiten sehr interessant, wenn man enger miteinander forschen kann.
BZ: Kam dabei schon etwas heraus?
Gentner: Ein Ziel meiner Dissertation war zu schauen, ob es damals auf beiden Seiten des Rheins dieselbe Kultur gab. Heute kann man sagen, dass das Badische und das Elsässische als Dialekt quasi gleich sind. Aber war das damals schon so? Ich kann jetzt sagen: Ja, damals war schon quasi die gesamte Rheinkultur gleich. Da haben wir gute Daten erhalten, das war ein gutes Ergebnis.
Steeve Gentner (32) hat an der Universität Straßburg Ur- und Frühgeschichte studiert und wurde dort 2019 mit seiner Dissertation über Keramik, Wirtschaft und Gesellschaft am östlichen Oberrhein vom fünften bis dritten Jahrhundert vor Christus promoviert.
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