Freitag, 13. November 2020

Schlaglicht auf die keltische Gesellschaft.

 

aus welt.de, 18. 10. 2020

Er wurde einfach in die Grube geworfen und als kranke Arbeitskraft entsorgt
Er war höchstens zwölf Jahre alt, als seinem Leben um 500 v. Chr. brutal ein Ende gemacht wurde. 2019 haben Archäologen sein Skelett bei Nördlingen entdeckt. Jetzt gibt es erste Erkenntnisse über das beschwerliche Leben des Jungen.

Die Folgen der Gewalt sind unübersehbar. Mit großer Kraft muss jemand auf den Schädel des Jungen eingeschlagen haben. Jedenfalls ist der Knochen mehrfach gerissen, ein ungefähr nierenförmiges Stück des Schädeldaches ist sogar wie ausgestanzt leicht ins Schädelinnere gedrückt.

Das Opfer, ein wohl erst neun- bis zwölfjähriger Junge, starb offensichtlich an dieser stumpfen Gewalt – vor 2100 bis 2500 Jahren. Nach vorläufigen Datierungen ist sein Skelett zwischen 480 bis 100 v. Chr. im Siedlungsmüll eines keltischen Dorfes ziemlich in der Mitte des Nördlinger Ries’ entsorgt worden.

Die mit Sicherheit tödliche Schädelverletzung des Jungen

Bei Bauarbeiten an einem neuen Leitungsgraben für die Batteriefirma Varta stießen Archäologen auf einen typisch keltischen Erdspeicher. Bei solchen in den Boden gegrabenen Konstruktionen handelt es sich um Lager, in dem die Bewohner ursprünglich Getreide aufbewahrten; später nutzten sie die künstliche Höhle als Mülldeponie. Verkohlte Körner von Spelzgerste, Dinkel, Einkorn und Weizen sowie die Knochen von geschlachteten Schweinen und Rindern, außerdem gesammelte Bachmuscheln zeigen, wovon sich die Menschen hier ernährten.

Auf einer Schicht Müll fanden die Wissenschaftler bäuchlings liegend auf dem Abfall das Skelett. Zu Lebzeiten muss das Kind zwischen 125 und 130 Zentimeter groß gewesen sein. Erste anthropologische Untersuchungen lassen Rückschlüsse auf das Leben des Jungen zu.

 
Zahnstein und Zahnabnutzung bei dem jungen Kelten

Er muss intensive körperliche Arbeiten verrichtet haben; das zeigen die ausgeprägten Muskelansätze am rechten Arm. Poröse Stellen an den Augenhöhlen deuten zudem auf längere Mangelernährung hin. Am rechten Schienbeinknochen fanden sich Spuren einer Entzündung. Die tödliche Schädelverletzung wiederum war offenbar nicht die Folge eines Unfalles, sondern bewusst verübte Gewalt.

Aus diesem Befund lässt sich einiges ableiten. Die Kelten stammten ursprünglich aus einem Kerngebiet nördlich der Alpen und vom Rhein die Donau entlang bis in die Gegend um Wien. Das Nördlinger Ries, der fast kreisrunde Rest eines Meteoriteneinschlages vor etwa 14,5 Millionen Jahres, gehörte also zum ursprünglichen Lebensraum keltischer Stämme.

Um 500 v. Chr. begann die Expansion der Kelten, die von den Römern später meist „Gallier“ genannt wurden, in alle Himmelsrichtungen außer nach Norden. Die heutigen Staaten Spanien und Portugal, Großbritannien, Frankreich und Benelux waren keltisch dominiert, außerdem Norditalien, Teile der Adriaküste und ein Streifen entlang der Donau bis ans Schwarze Meer.

Die Kelten lebten in Stammesgemeinschaften, die dem griechischen Historiker Diodor zufolge meist zwischen 50.000 und 200.000 Menschen umfassten. Sie waren kulturell ähnlich, standen aber durchaus miteinander in Konkurrenz. Kriege von Kelten gegen Kelten waren an der Tagesordnung.

Quelle: Infografik Die Welt

Das Wirtschaftsleben der keltischen Stämme war „hoch entwickelt“, schreibt der Berliner Althistoriker Alexander Demandt in seinem Standardwerk „Antike Staatsformen“, jedenfalls differenzierter als das ihrer germanischen Nachbarn oder Italiker auf der Apenninhalbinsel. Kelten betrieben Viehzucht, vor allem von Rindern und Schweinen, außerdem Ackerbau. Felder wurden zuerst mehrere Jahre für den Getreideanbau benutzt, dann als Weiden für Tiere. So konnte sich der Boden jeweils wieder erholen.

Große Bedeutung hatte ferner die Metallindustrie. Kelten waren begabte Bronze- und später Eisenschmiede, deren Produkte im gesamten Europa begehrt waren. Auch der Salzabbau war eine keltische Spezialität.

Für die Analyse des bei Nördlingen gefundenen Kinderskeletts sind jedoch andere Erkenntnisse über die Kelten wichtiger. So ist zwar bekannt, dass keltische Druiden den Göttern Menschenopfer darbrachten; zur keltischen Religion gehörte die Überzeugung, dass Leben nur um Leben gewährt würde. Jedoch handelt es sich bei dem Jungen sicher nicht um ein geopfertes Kind, denn in diesem Fall wäre das Skelett sicher nicht auf dem Müll entsorgt worden.

Es dürfte sich also um einen Unfreien gehandelt haben. In seinem „Gallischen Krieg“ berichtet Iulius Caesar, Kelten, die ihre Schulden nicht mehr bezahlen könnten, begäben sich in den Schutz gesellschaftlich höherstehender Personen: „Die Hörigen werden gehalten wie Sklaven in Rom“, schreibt der Feldherr.

Die Schienbeine, das rechte mit Spuren einer schweren Entzündung

Die nachweisliche Mangelernährung, die harte körperliche Arbeit schon in jungen Jahren und die Umstände der „Entsorgung“ des toten Körpers deuten darauf hin, dass es sich bei dem Jungen um einen Sklaven gehandelt haben könnte. Weitere Analysen, so das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege, sollen helfen, mehr über sein Leben zu erfahren.

Untersuchungen von Isotopen in seinen Knochen könnten Rückschlüsse auf den Anteil von Fleisch und Milchprodukten in seiner Ernährung sein, also auf seinen sozialen Status. Datierungen mittels der C-14-Methode werden genauere Einsichten über die Nutzungsdauer der Siedlung liefern, zu der die unterirdische Mülldeponie gehörte.

 

 

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