aus welt.de, 15. 11. 2020 Kopf von Salzmann 1 in dem Bergwerk von Chehrabad. Er lebte im 3. Jahrhundert n. Chr.
Sie starben beim Abbau eines lebenswichtigen Stoffes
In einem antiken Bergwerk in Persien wurden bislang acht mumifizierte
Arbeiter geborgen, die bei Katastrophen ums Leben kamen. Wie beim
Eismann Ötzi fördern die Untersuchungen verblüffende Details ihrer
Lebenswelten ans Licht.
Salz ist überlebenswichtig. Es regelt den Wasserhaushalt
im Körper, ist essenziell für die Arbeit der Nervenzellen, fördert
Stoffwechselvorgänge. Daneben gibt es Speisen Geschmack und kann ihre
Rohstoffe konservieren. Kein Wunder also, dass Homo sapiens früh die
Verbindung aus Natrium und Chlorid zum „weißen Gold“ erklärte, das „du
bei allen deinen Opfern (an Gott) darbringen sollst“, wie es im 3. Buch
Mose des Alten Testaments heißt.
Damit wird das weiße oder graue
Mineral auch zu einem Leitmedium der Kulturgeschichte. Denn die Form
seines Abbaus, seines Handels, seiner Verarbeitung liefert wichtige
Nachrichten über die Lebensumstände und Zeitläufte seiner Konsumenten.
Ein Beispiel dafür bietet ein archäologischer Fundort, auf dem seit den
90er-Jahren wiederholt spektakuläre Entdeckungen für Furore sorgten: Im Nordwesten des Iran kam ein 2500 Jahre altes Salzbergwerk ans Licht, in dem die Mumien mehrerer verschütteter Arbeiter konserviert wurden.
Thomas Stöllner, Archäologe an der Universität Bochum und Leiter der Abteilung Forschung am dortigen Deutschen Bergbau-Museum, und Abolfazi Aali vom Zanjan Saltmen and Archaeological Museum in Zandschan, haben in der Zeitschrift „Archäologie in Deutschland“ jetzt einen Zwischenbericht ihrer Forschungen vorgelegt.
1993
hatten Arbeiter aus dem Bergwerk Chehrabad an dem Salzstock Douzlakh in
der Provinz Zandschan Teile eines menschlichen Körpers entdeckt, der
erstaunlich gut erhalten war. Nachdem 2004 eine zweite Mumie geborgen
wurde, startete die iranische Antikenbehörde eine Notgrabung, die 2005
zwei weitere Tote zutage förderte. Inzwischen kamen acht Leichen ans
Licht, die – ähnlich wie die Eismumie des Ötzi – im Rahmen eines internationalen Programms mit Unterstützung von Deutscher Forschungsgemeinschaft und Gerda-Henkel-Stiftung
und weiteren Geldgebern analysiert und konserviert werden. Die
Ausstellung „Tod im Salz – Eine archäologische Ermittlung in Persien“ in Frankfurt/M.und Bochum ist in Vorbereitung; ihre Eröffnung hängt von der Corona-Lage ab.
„Das Bergwerk von Chehrabad hat nach mehr als 20 Jahren Forschung
Belege dafür geliefert, dass der Bergbau vor allem in Zeiten florierte,
in denen eine zentrale Herrschaft den Abbau kontrollieren und die
Verteilung übernehmen konnte“, schreiben Stöllner und Aali. Das
leisteten im Altertum die Großreiche der Achämeniden und Sasaniden, nach
der muslimischen Eroberung Seldschuken, Mongolen und Sawafiden.
Gute
Belege dafür bietet der sogenannte Salzmann 4, der durch seine
vollständige Erhaltung zu einer Ikone des Fundortes geworden ist. Er
erstarrte ihn der Bewegung, mit der er sich vor dem Steinschlag unter
Tage zu schützen suchte, der vermutlich durch ein Erdbeben ausgelöst
worden war. Der 15- oder 16-Jährige stammte nicht aus der näheren
Umgebung, sondern war, wie seine Isotopenwerte belegen, wohl am Ufer des
Kaspischen Meeres aufgewachsen. Um 400 v. Chr. kam er an den Douzlakh.
Zu jener Zeit erschütterte der Aufstand des jüngeren Kyros gegen seinen
Bruder und Großkönig Artaxerxes II. das Persische Weltreich, das die
Krise aber überwand und bis zur Eroberung durch Alexander den Großen 331. v. Chr. intakt blieb.
Über mehr als 2000 Jahre hinweg wurde in dem Bergwerk Chehrabad am
Salzstock Douzlakh in der westpersischen Provinz Zandschan Salz
gefördert
Auch
die älteren Salzmänner 3, 5 und der erst unlängst entdeckte 8 wurden
bei derselben Grubenkatastrophe vor gut 2400 Jahren getötet. Für 3 und 5
gilt ebenfalls, dass sie einen Teil ihres Lebens in weiter entfernten
Regionen wie Zentralasien oder am Kaspischen Meer verbracht haben. Ihre
Tätigkeit Bergwerk „konnte eigentlich nur im Rahmen eines staatlich
organisierten ,bandaka‘ geschehen, einem Arbeitsdienst, in dem alle
Männer als königliche Untertanen einen auferlegten Dienst leisten
mussten“, folgern Stöllner und Aali, die zusammen mit Natascha Bagherpour-Kashani vom Archäologischen Museum Frankfurt/M. das internationale Programm koordinieren.
Dass
es sich bei den Toten vermutlich um spezialisierte Wanderarbeiter und
nicht um Sklaven handelte, belegen Konstitution und Ausrüstung von
Salzmann 4. Er war gut genährt, trug eine Wolltunika mit Fellumhang,
Federschuhe und Ohrringe. Auch besaß er einen Dolch und mehrere Gefäße.
Da in den entsprechenden Schichten im Bergwerk kaum Holzschäfte für
Eisenwerkzeuge gefunden wurden, vermuten die Wissenschaftler, dass ihm
Holz nicht in großen Mengen zur Verfügung stand.
Der vollständig erhaltene Salzmann 4 erstarrte in der Bewegung, mit
der er sich vor dem Steinschlag unter Tage zu schützen suchte
Wie
seine Kollegen ernährte sich Salzmann 4 von Früchten, Gemüse und dem
Fleisch von Ziegen, Schafen oder Rindern. Diese Nahrungsmittel konnten
länger transportiert werden, trugen allerdings auch hygienische Gefahren
in sich. So haben Stöllner und seine Kollegen in den konservierten
Darmüberresten einer Salzmumie Eier eines Bandwurms nachgewiesen. Diese
unangenehmen Parasiten werden durch den Verzehr von rohem oder nicht
ausreichend durchgegartem Fleisch übertragen.
Das
von den Arbeitern gebrochene Steinsalz wurde über große Entfernungen
über uralte Trassen gehandelt, für deren Sicherheit der Großkönig und
seine Satrapen sorgten. Da der Iran selbst über zahlreiche leicht
erreichbare Vorkommen verfügte, wurde das „weiße Gold“ vom Douzlakh
vermutlich als Qualitätsware in Blöcken gehandelt. „Der Stoff ,madukka‘,
ein aus der elamischen Sprache stammendes Wort, durfte bei keinem
Festmahl am achämenidischen Hof fehlen“, schreiben Stöllner und Aali:
„War damit das reine, weiße, wohlschmeckende Salz gemeint?“
Ihre
Arbeitsweise unterschied sich deutlich von der ihrer Vorgänger. Sie
schlugen nicht mehr große Blöcke aus dem Salz, sondern förderten es als
klein gehacktes Stücksalz, das in Säcken und Körben von Eseln oder
Maultieren aus dem Bergwerk geschafft wurde. Auch dienten ihnen nicht
mehr Öllampen als Lichtquellen, sondern größere Feuerplätze. Diese
„gaben Licht, ermöglichten aber auch die Reparatur der häufig
beschädigten Schäftungen aus Pappelholz“, schreiben Stöllner und Aali:
„Die Feuerplätze waren aber sicher auch Orte der Kommunikation oder auch
der Arbeits- und Essenspausen.“
Anders
als die Salzmänner der Achämeniden kamen die Arbeiter aus der Umgebung,
in der sich inzwischen einiges getan hatte. Unter den Sasaniden
entstand in der Region ein Bewässerungssystem, das intensive
Landwirtschaft ermöglichte. Nun diente das abgebaute Salz offenbar vor
allem der Versorgung der näheren Umgebung und weniger den Höfen der
Herrscher und ihrer Statthalter.
Nach der Eroberung Persiens im
7. Jahrhundert durch die Araber verfielen – ähnlich wie im Norden
Syriens – die wirtschaftlichen Strukturen. Erst ab dem 13. Jahrhundert
wurde in Chehrabad wieder nach Salz gegraben, diesmal für die Märkte
urbaner Zentren. Auch standen nun wieder Techniken zur Verfügung, die
Landwirtschaft etwa durch Bewässerungssysteme zu intensivieren.
Daher
wurden nun erstmals in enger Nachbarschaft zum Bergwerk Dörfer
gegründet. Denn ihnen stand endlich Wasser zur Verfügung, das nicht mehr
durch Salz kontaminiert war. Denn das ist die Crux des Salzes: Es
vergiftet das Wasser, einen anderen Grundstoff des Lebens.
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