Montag, 30. November 2020

Die Freimaurer.

aus nzz.ch, 30.11.2020

Goethe, Casanova oder Walt Disney: Sie alle waren Freimaurer. Was hat es mit dem Geheimbund auf sich? 
Die Freimaurer werden seit Jahrhunderten als Strippenzieher und heimliche Weltenherrscher gesehen. In Tat und Wahrheit ist ihre Geschichte zwar nicht sehr aufregend. Aber trotzdem haben sie wesentlich zur Entstehung der modernen Gesellschaft beigetragen.
 
von Oliver Pfohlmann 
 
«Der mächtigste Geheimbund der Welt»: Der Untertitel von John Dickies Buch über die Geschichte der Freimaurer ist, zumindest in der deutschen Ausgabe, erwartbar reisserisch. Wer das Buch gelesen hat, weiss, dass er auch falsch ist. Denn ein Verein, in dem Männer hinter verschlossenen Türen an ihrer «Selbstveredelung» basteln, indem sie Rituale durchführen, ethische Lektionen lernen, bei gutem Essen und Trinken erörtern, welche Wohlfahrtseinrichtung man unterstützen sollte, und dabei nie vergessen, «sich gegenseitig auf die Schultern» zu klopfen, ist wohl kaum ein «Geheimbund».

Und «mächtig»? Das waren (und sind) die Freimaurer vor allem in den Augen ihrer Gegner, die ihnen seit der Französischen Revolution praktisch jedes Übel der Geschichte angedichtet haben, einschliesslich der Jack-the-Ripper-Morde. Sehr wohl aber kann man die Bruderschaft als «einflussreich» bezeichnen, und ebendarauf zielt der Untertitel der Originalausgabe: «How the Freemasons Made the Modern World».

Etwa sechs Millionen Freimaurer gebe es heute auf der Welt, berichtet John Dickie im Vorwort. Zu ihren Glanzzeiten waren es um ein Vielfaches mehr, mit einer stattlichen Liste an Berühmtheiten, unter ihnen Goethe, Mozart und Casanova, George Washington, Winston Churchill und Franklin D. Roosevelt, Henry Ford und Walt Disney, ja sogar Arthur Conan Doyle oder Oliver Hardy. Aber noch so viele prominente Namen verhindern nicht, dass der Londoner Historiker mit seinem Gegenstand ein Problem hat: Die Freimaurerei selbst ist nur halb so aufregend wie ihre Geschichte und die sich um sie rankenden Verschwörungsmythen.

Wohl deshalb legt John Dickie, der Autor eines vorzüglichen Buches über die Cosa Nostra, schon im zweiten Kapitel die Karten auf den Tisch. Im Schnellgang und mit der angemessenen spöttischen Distanz resümiert Dickie alle heute längst bekannten «Geheimnisse» der Bruderschaft wie ihren bis zum Tempel Salomons zurückreichenden Entstehungsmythos oder die bizarr anmutenden Aufnahmerituale mit verbundenen Augen und hochgekrempeltem Hosenbein.

Dabei sei die Androhung drakonischer Strafen bei Verrat, wie das Herausreissen der Zunge, stets blosser «Theaterdonner» gewesen, so Dickie, und überhaupt: «Mehr steckt nicht dahinter», denn «die Wahrheit über die Freimaurerei» sei «absolut banal». Einerseits. Andererseits erzeugte das Versprechen, beim Aufstieg vom Lehrling zum Meister Zugang zu immer geheimeren Wahrheiten zu erhalten, auch eine enorme Anziehungskraft; sie war es, die die Freimaurerei zu einem «der erfolgreichsten kulturellen Exportgüter Grossbritanniens» machte.

Es begann bei Gans und Bratrost

Denn auf der Insel ist die Bruderschaft entstanden: Nach einer verwickelten Vorgeschichte im Schottland der Renaissance wurde 1717 in der Londoner Gaststätte «Goose and Gridiron» («Gans und Bratrost») die erste Grossloge gegründet. Attraktiv, zumal in Zeiten politischer und religiöser Spannungen, seien die Logen auch deshalb gewesen, weil in ihnen Politik und Religion von Anfang an tabu waren. Und weil sich die Mitglieder, Bürger und Aristokraten, in einem geschützten Raum ständeübergreifend auf Augenhöhe austauschen konnten. Durch die Einübung von Toleranz, Diskursfähigkeit und Demokratie (die gewählte Führung einer Loge wechselt alle zwei Jahre) hätten die Maurer ihren Teil zur Entstehung einer modernen, egalitären Gesellschaft beigetragen, betont der Historiker.

Der «Verschwiegenheitskult» der Brüder war für Aussenstehende aber nicht nur faszinierend, er rief auch Misstrauen hervor. Vor allem bei der Kirche, die seit einer Bulle von Papst Clemens XII. 1738 (bestätigt 1983 vom damaligen Kardinal Ratzinger) für eine Zugehörigkeit zu den Maurern die Exkommunikation vorsieht. Die Kirche verdächtigte die Brüder des Satanismus und, weil Frauen der Zutritt zu den Logen verwehrt blieb, der Sodomie. Eine Unterstellung, bei der sich John Dickie die Gelegenheit zu einem Seitenhieb nicht entgehen lässt: «Vielen dürfte angesichts solcher Anschuldigungen der Gedanke kommen, dass die Kirche in puncto sexuelle Perversion eventuell im Glashaus sitzt.»

Seit je haben sich die Freimaurer als exklusiv männliche Gesellschaft verstanden, erst in jüngster Zeit wird dieser Ansatz zaghaft aufgeweicht. Von Ausnahmen wie den gemischtgeschlechtlichen «Adoptionslogen» im vorrevolutionären Frankreich abgesehen, standen die Rollen für Frauen fest: «pflichtbewusste Ehefrauen. Totems männlicher Ehrbarkeit. Mitleidige Engel. Witwen, die der Fürsorge bedürfen. Zuschauerinnen bei kostümierten männlichen Spektakeln». Bedenkt man, dass Freimaurer sich selbst so blumige Titel wie «Ritter des Argonautenordens» verleihen, erscheint Dickies Vorschlag naheliegend, die freimaurerische Geschichte auf die Formel «vier Jahrhunderte männlicher Überspanntheit» zu bringen.

Eklatante Widersprüche

Der Historiker nähert sich seinem Gegenstand aber nicht nur mit mildem Spott, sondern auch mit einer gehörigen Portion Sympathie. Zugleich stösst er aber beim (mitunter sehr kleinteilig erzählten) Gang durch die Geschichte immer wieder auf Widersprüche zwischen maurerischen Werten wie Gleichheit, Brüderlichkeit, Weltoffenheit und Humanität und der Realität. Wie in Britisch-Indien, wo Rudyard Kipling schmeichelhafte Lobgesänge auf die Logen dichtete, in denen sich Briten und Angehörige des Kolonialvolks angeblich brüderlich begegneten. Oder in Italien, wo die Freimaurerei schon seit der Ära Napoleons auf unselige Weise mit der Politik verstrickt war.

Der deutschen Freimaurerei wirft Dickie ein geschöntes Selbstbild als Opfer der NS-Zeit vor: Zwar wurden die deutschen Logen nach 1933 tatsächlich verboten, aber zuvor hätten die meisten alles versucht, sich den Nazis als loyale Stütze des neuen Staates anzudienen, und ihre jüdischen Mitglieder gar nicht schnell genug loswerden können. Besonders erhellend wird Dickies Darstellung aber im Fall der USA, wo die Freimaurerei nach dem Ersten Weltkrieg so populär war, dass eine Mitgliedschaft für Geschäftsmänner «zur Visitenkarte für Glaubwürdigkeit und korrektes Geschäftsgebaren» wurde.

Für Weisse zumindest, denn Afroamerikanern blieb der Zutritt verwehrt: «Die masonische Utopie steht allen offen», so Dickie lakonisch. «Nur nicht den Unerwünschten.» Die von Schwarzen schon Ende des 18. Jahrhunderts begründete Tradition der Prince-Hall-Freimaurerei, mit grossen Namen wie Nat King Cole, Sugar Ray Robinson oder Thurgood Marshall, dem ersten schwarzen Richter am Supreme Court, werde bis heute von vielen weissen Grosslogen der USA nicht anerkannt, all ihren Verdiensten um die Bürgerrechtsbewegung zum Trotz.

John Dickie: Die Freimaurer. Der mächtigste Geheimbund der Welt. Aus dem Englischen von Irmengard Gabler. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2020. 560 S., Fr. 37.90.

 

Nota. - Giuseppe Balsamo alias Graf Cagliostro findet keine Erwähnung; nicht in der Re-zension, aber doch hoffentlich im rezensierten Buch. Niemals war nämlich die Maurerei kulturhistorisch bedeutsamer als unmittelbar vor und ein paar Jahre nach der französischen Revolution. Nicht nur Friedrich II. von Preußen, sondern auch Joseph II. von Österreich gehörten ihr an, letzterer neben Mozart den Illuminaten. Viel wurde gemutmaßt über dessen letzten großen Erfolg, die Zauberflöte, die doch von nichts anderm handelt als von der Be-freiung der menschlichen Seele (Pamina) durch den freien Geist (Tamino) aus den Fängen der römischen Kirche (Königin der Nacht) unter Anleitung der illuminierten Weisheit: Sarastro.

Die Wirklichkeit der Revolution besorgte dann Ernüchterung. In ihrem Alltag war die Maure-rei seither vor allem ein entspannter Ort, wo Geschäftsleute sich ohne Blick auf den Markt, aber nicht ganz ohne Rücksicht auf praktischen Nutzen treffen konnten.

Der idealistische Philosoph Fichte, natürlich selber Freimaurer, dachte jedoch nach  dem Scheitern seiner Lehrtätigkeit in Jena daran, die Freimaurerei in eine Gelehrtenverschwörung umzubilden, die der Herrschaft der Vernunft in der bürgerlichen Gesellschaft  den Weg be-reiten sollte - als eine geistige Avantgarde, die manchem als Keimform der Marx'schen revo-lutionären Partei erscheinen könnte

JE

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen