Montag, 9. November 2020

Der lange Weg der Republikanischen Partei.

 

aus welt.de, 6. 11. 2020

Als die Republikaner noch so links waren, dass ihnen Karl Marx gratulierte
Die Republikanische Partei der USA war bei ihrer Gründung links. Sie war gegen die Sklaverei und propagierte ein Stimmrecht für Schwarze. Seitdem hat sie immer wieder überraschende Wendungen gemacht – bis hin zu Donald Trump. 
 
 

Schaut man auf Wikipedia nach, wann die Republikanische Partei geboren wurde, findet man die Jahreszahl 1854. Irgendwie stimmt das auch. 1854 wurde der „Kansas-Nebraska Act“ verabschiedet, der es möglich machte, die Sklaverei auf die Gebiete im Westen der Vereinigten Staaten auszudehnen. Ein Teil der amerikanischen Whig-Partei – einer klassisch liberalen Partei, die für Freihandel und Kapitalismus stand – war aber strikt dagegen. Er spaltete sich ab.

Richtigen Auftrieb erhielt der neue politische Verein aber erst 1857. Damals fällte der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten sein Urteil im Falle Dred Scott vs. Sanford: Er entschied, dass Nachfahren afrikanischer Sklaven nie und nimmer amerikanische Bürger werden könnten.

Danach versammelten sich in der Republikanischen Partei all jene Nordamerikaner, die die Sklaverei ablehnten, sei es aus moralischen, sei es aus ökonomischen Gründen. Die neue dritte Kraft auf der Bühne der amerikanischen Politik wurde dermaßen erfolgreich, dass sie einen Teil der Anhänger der „Know nothing“-Partei schluckten – das waren Leute in den Nordstaaten, die Einwanderung ablehnten. Vor allem katholische Iren galten ihnen als ein Gräuel.

Schlaksig, hässlich, aus einfachsten Verhältnissen

1860 gelang den Republikanern ein durchschlagender Erfolg: Ihr Kandidat wurde zum Präsidenten gewählt. Ein schlaksiger, hässlicher Kerl mit Kinnbart, der aus einfachsten Verhältnissen stammte – er wurde in einer Blockhütte in Kentucky geboren. Lincoln gewann die Wahl mit nur 39,8 Prozent der Stimmen, vor allem deshalb, weil die Gegenseite gespalten war.

Schaut man sich auf der Landkarte die Bundesstaaten an, die Lincoln wählten, dann fällt auf: Sie sind beinahe identisch mit jenen Bundesstaaten, die heute eine sichere Bank für die Demokraten sind, also der Nordosten der amerikanischen Republik und Kalifornien und Oregon an der Westküste. Im Süden des Landes gewann Lincoln keinen Wahlkreis. Keinen einzigen.

Lincolns Wahl war der Anlass, nicht die Ursache, für den amerikanischen Bürgerkrieg. Am 12. April 1861 feuerte eine Truppe von Rebellen, die sich selber als „Konföderierte Armee“ bezeichnete, Schüsse auf Fort Sumter in South Carolina ab. Dieser Krieg wurde zum Befreiungskrieg. Er endete damit, dass Lincoln und seine republikanische Partei den 13. Zusatzartikel (Amendment) zur amerikanischen Verfassung durch den Kongress boxten, in dem das Wort „Sklaverei“ nur vorkam, um kategorisch zu erklären: Sie sei auf dem gesamten Territorium der Vereinigten Staaten abgeschafft.

Nachdem ein weißer Rassist Lincoln ermordet hatte, setzten die Republikaner noch das 14. und das 15. Amendment durch: Alle Menschen, die auf dem Territorium der Vereinigten Staaten geboren wurden, waren automatisch amerikanische Staatsbürger – jawohl, auch die Nachkommen von Sklaven. Und alle amerikanischen Staatsbürger sollten wählen dürfen, zumindest die Männer, unabhängig von der Hautfarbe.

War die Republikanische Partei im 19. Jahrhundert also eine linke Partei? Befragen wir einen deutschen Gewährsmann, der es ganz sicher wissen musste. „Sir“, schrieb jener Mann anno 1864 nach Washington, „wir wünschen dem amerikanischen Volk Glück zu Ihrer mit großer Majorität erfolgten Wiederwahl … Die Arbeiter Europas … sind von der Überzeugung durchdrungen, dass … der amerikanische Krieg gegen die Sklaverei eine neue Epoche der Machtentfaltung für die Arbeiterklasse einweihen wird. Sie betrachten es als ein Wahrzeichen der kommenden Epoche, dass Abraham Lincoln, dem starrsinnigen, eisernen Sohn der Arbeiterklasse, das Los zugefallen ist, sein Vaterland durch den beispiellosen Kampf für die Erlösung einer geknechteten Rasse und für die Umgestaltung der sozialen Welt hindurchzuführen.“ Gezeichnet: Karl Marx.

Wie konnte aus dieser Republikanischen Partei die Republikanische Partei von heute werden? Vielleicht begann die große Umwandlung mit der Wahl von 1876. Eigentlich hatten die Republikaner diese Wahl verloren – genauer gesagt: Sie war so knapp ausgegangen, dass nun das Repräsentantenhaus entscheiden musste.

Die Republikaner ließen sich mit der Gegenseite auf einen politischen Kuhhandel ein: Wenn die Demokraten erlaubten, dass ihr Kandidat Rutherford B. Hayes Präsident wurde, verpflichteten sie sich darauf, die Armee aus den Südstaaten zurückzuziehen. Das Resultat: In den Südstaaten stellten die Weißen mit Terror die alten Herrschaftsverhältnisse wieder her. Danach durften Schwarze nicht mehr wählen, viele von ihnen gerieten in Schuldknechtschaft, die sich kaum von der Sklaverei unterschied. Am Ende stand ein Apartheidregime, das 100 Jahre dauerte.

Vielleicht begann die Wende aber auch mit Herbert Hoover. Dieser republikanische Präsident war ein grundanständiger Mensch, nur tat er leider in der Wirtschaftskrise von 1929 das Falsche: gar nichts. Die Folge: 1932 kam die Demokratische Partei unter Franklin Delano Roosevelt an die Macht und hielt sich dort für eine Generation. Roosevelt schmiedete eine unschlagbare Koalition aus Sozialdemokraten in den Städten des Nordens und „Dixiecrats“, also Rassisten, in den Südstaaten.

Längst nicht mehr links, aber auch nicht rechts

Die Republikaner waren danach eigentlich zwei Parteien. Ein zutiefst konservativer Verein, der sich lieber aus dem fernen Krieg in Europa herausgehalten hätte. Und eine zweite Partei, die Roosevelt in seinem Kampf gegen die Nazis und japanische Militaristen unterstützte.

An die Macht kamen die Republikaner erst wieder 1953, beinahe ein Jahrzehnt nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Der Präsident hieß Dwight D. Eisenhower, ein ehemaliger General, den – außer den Kommunistenfressern um Joseph McCarthy – eigentlich alle gern mochten. Die Republikanische Partei war damals längst nicht mehr links, aber sie war auch noch nicht wirklich rechts. Sie hatte einen mächtigen linksliberalen Flügel. Sie kämpfte gegen Monopole und für Sozialreformen. Und es gab immer noch einen ganzen Haufen Schwarze, die republikanisch wählten – ganze 36 Prozent! Eine Statistik aus einer sehr anderen Zeit.

Das Jahr, in dem sich das alles änderte, war 1964. Damals fuhr der Präsidentschaftskandidat der Demokraten, ein hünenhafter Texaner namens Lyndon B. Johnson, einen gigantischen Sieg ein. Die Republikaner holten sich die Stimmen nur von fünf Bundesstaaten: Arizona, Louisiana, Mississippi, Alabama, South Carolina.

Sie hatten einen Fehler gemacht und einen rechten Extremisten als Kandidaten aufgestellt: Barry Goldwater. Unter dem Demokraten Lyndon B. Johnson wurde 1964 – übrigens immer noch mit den Stimmen der meisten Republikaner im Kongress – der Civil Rights Act beschlossen. Ein Jahr später folgte der Voting Rights Act, durch den Schwarze in den Südstaaten das Wahlrecht erhielten.

Präsident Johnson sagte damals wehmütig: Ihm sei bewusst, dass er die Demokraten damit in den Südstaaten für eine Generation unwählbar gemacht hatte. Eine Fehleinschätzung – es war nicht eine Generation, es waren drei.

Nach Lyndon B. Johnson kam Richard Nixon. Unter ihm begann die Republikanische Partei ihre „Southern Strategy“, mit der sie die weißen Rassisten in ihr politisches Lager lockte. In den 80er-Jahren holte Ronald Reagan noch die evangelikalen Christen ins politische Boot. Damit war die Neuordnung der politischen Landschaft in den Vereinigten Staaten beinahe komplett. Von nun an standen die Demokraten für Multikulti, Frauenrechte und den Sozialstaat. Die Republikaner standen für fiskalischen Konservatismus, sprachen verächtlich von schwarzen „welfare queens“ und waren kategorisch gegen Abtreibungen.

Natürlich waren die Republikaner trotzdem noch keine Rassistenpartei. Auf YouTube kann man Videos anschauen, wo Reagans Nachfolger, inklusive George W. Bush, mit großer Herzenswärme über Einwanderer sprechen. George W. Bush reagierte auf die Terroranschläge vom 11. September 2001, indem er erst einmal eine Moschee besuchte.

Aber es gab danach bei den Republikanern zumindest eine wichtige Unterströmung, der es nicht passte, dass Amerikas Großstädte immer bunter wurden, dass Einwanderer aus Asien und Lateinamerika und Afrika ins Land strömten, dass Schwule und Lesben händchenhaltend herumschlenderten, dass immer weniger Leute in die Kirche gingen.

2012 verlor der Republikaner Mitt Romney die Wahl gegen Barack Obama. Danach setzten seine Parteifreunde sich hin und veröffentlichten ein Positionspapier. Dort stand Folgendes: Die Republikanische Partei hat nur dann eine Chance, wenn sie sich öffnet – wenn sie klarmacht, dass ihre Botschaft grundsätzlich für alle Menschen gilt, unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, sexueller Orientierung. Dann kam 2016. Die Republikanische Partei missachtete ihre eigenen Ratschläge souverän. Und gewann.

So mutierte die Partei von Abraham Lincoln zur Partei von Donald Trump. Heute vertritt sie in beinahe jeder Hinsicht das Gegenteil von dem, was sie noch vor wenigen Jahren vertreten hat. Früher war sie für fiskalischen Konservatismus, heute schmeißt sie Geld mit beiden Händen zum Fenster hinaus. Früher war sie für freie Märkte, heute ist sie für Schutzzölle. Früher war sie die russlandfeindliche Partei, heute schwärmen große Teile der Parteibasis für Putin.

Früher war sie die Partei des 14. Amendment, heute versucht sie mit allen möglichen Tricks, Dunkelhäutige am Wählen zu hindern. Die Hälfte der Republikaner glaubt laut Umfragen an die antisemitische QAnon-Verschwörungstheorie. 2020 verabschiedeten die Republikaner gar kein Parteiprogramm mehr, sie bekannten sich einfach nur noch vorbehaltlos zu Donald Trump. Eines ist sicher: Karl Marx würde sich heute verdutzt die Augen reiben.

Wie die Präsidentschaftswahl gezeigt hat, wird diese politische Kraft nicht einfach so verschwinden – auch wenn es den Demokraten gelungen ist, Donald Trump an den Wahlurnen zu schlagen. Ein bedeutender Teil der Amerikaner findet jene kunterbunte, Kaffee Latte schlürfende, liberale und gelassene Nation, die sich in den amerikanischen Städten herausgebildet hat (nicht nur an den Küsten, auch im Mittleren Westen und in Texas), einfach nur ekelhaft. Diese Menschen halten nicht viel von Demokratie, und sie sind bewaffnet. Sie werden uns mindestens noch eine Generation lang beschäftigen. 

 

Nota. - Karl Marx schrieb damals nicht in eigenem Namen, sondern für den Generalrat der Internationalen Arbeiterassoziation IAA, der Ersten Internationale, und der Glückwunsch galt natürlich nicht Abraham Lincoln und seiner Partei, sondern der Abschaffung der Sklaverei. 

Die Vereingten Staaten sind nicht aus einheimische Wurzeln enstanden, sondern als eine bri-tische Kolonie. Ihre Gesellschaft unterscheidet sich substanzielle von den europäischen, und folglich die Gesetzmäßigkeiten ihrer Politik. Weder gab es eine werktätige Bourgeoisie, die sich erst noch 'zur Klasse bilden' musste, um sich gegen einen adligen Grußgrundbesitz durchzu-setzen, noch entstand je eine politisch gewichtige Arbeiterbewegung, die jene von links unter Druck setzen konnte. An Anfang waren sie alle mehr oder minder gutgestellte Kolonisten, die sich im Kampf gegen die britische Krone zur Nation bilden konnte, bevor die Klassenkämpfe Gestalt annahmen. Zunächst war da der Gegensatz zwischen den Städten im Osten und dem flachen Land, politisch reflektiert in der Opposition von zentralistisch gesonnenen federalists und dem lokalistischen Pioniergeist an der frontier.

Und auch mit fortschreitender Industrialisierung konnte sich eine selbsttragende Arbeiterbe-wegung nicht ausbilden: Amerikanische Proletarier ware aus Europa eingewandert, von wo sie sozialistische (aus Deutschland) oder anarchistische (aus Italien) Ideen mitbrachten. Doch in Amerika angekommen, sammelten sie sich zuerst einmal in des Gangs of New York, von wo aus sie sich bald als Facharbeiter etablierten oder im Lumpenproletariat überlebten. Das Entscheidende für die Ausbildung revolutionärer Stimmungen fehlte: das Bewusstsein, keine Chance zu haben. Denn eine Chance hatte anfangs jeder, der sie wahrzunehmen wagte: Go west! Im Westen gab es genug Land für jeden, der Mühe und Gefahr nicht scheute, so dass jeder, der in Zorn geriet, ein Ausweg fand. Revolutionäre Gruppierungen blieben Sekten man Rand der Arbeiterschaft "mit Migrationshintergrund": Die deutschstämmige Socialist Labor Party in New York, die italienischen Anarchisten in den Hafenstädten des Ostens.

Revolution ist in der Vereinigten Staaten Sache einer heroischen Vergangenheit: Ihren Unab-hängigkeitskrieg gegen die britische Krone nennen sie so - Quell aller patriotischen Legitimität. Hinter ihrem Führer Washington und ihrer zur Religion aufgebauschten Verfassung sind sie alle nur Eine Nation.

Eine Linke im europäische Sinn hat sich so niemals ausbilden können: die definierte sich durch ihre Nähe zu einer Revolution, die noch kommen sollte wenn vielleicht auch refor-mistisch gemildert: das waren die Sozialdemokraten

"... eine Trennung in Links und Rechts hat auch nach dem Ersten Weltkrieg, auf den eine neue Welle des Isolationismus folgte, nicht stattfinden können: Die Oktoberrevolution hat in der Tiefe der amerikanischen Gesellschaft lediglich the Red Scare hervorgerufen, die Stimmung war in allen Lagern - cf. den Fall Sacco und Vanzetti - so reaktionär und repressiv wie selten zuvor. Was Mark Lilla "die Linke" nennt, ist überhaupt erst als Folge der Großen Depression der 30er Jahre entstanden, als sich  Industriegewerkschaften bildeten, die nicht ständisch-exklusiv waren und sich für Ungelernte und... Schwarze öffneten: Das Rassenproblem war im Lauf der Great Migration von einem lokal südstaatlichen zu einem national amerikanischen Problem geworden.

Die politische Antwort war die Politik des New Deal unter dem demokratischen Präsidenten F. D. Rosoevelt, ihr Vordenker war der Pädagoge und pragmatistische Philosoph John Dewey. Er prägte das Schlagwort von New Liberalism, der, anders als der traditionelle Wirtschafts-liberalismus der Demokraten, einsah, dass ein Staat auf der Freiheit des Individuums nur dann aufgebaut sein kann, wenn die Individuen die sachlichen Mittel haben, sich ihrer Freiheit zu bedienen. Es heißt, es sei die amerikanische, klassenlose Variante der europäischen Sozialde-mokratie gewesen. Leo Trotzki erkannte dagegen im massiven Staatsinterventionismus des New Deal und der Kumpanei mit den Apparaten des Gewerkschaftsbunds CIO das gesell-schaftspolitische Pendant zu den Programmen der europäischen Faschismen: letzte Vertei-dígungslinien gegen die drohende Weltrevolution.

Anders als in Europa war die Linke in Amerika nie die politische Form einer realen Klassen-bewegung, sondern der ideologische Firnis einer besonderen Spielart bürgerlicher Politik. In Europa ist mit der Arbeiterbewegung die eine untergegangen, in Amerika mit dem Ende des Vietnamkriegs die andre. Übrig bleibt das Lamento und die Selbstbespiegelung." 25. 8. 19

Nicht verschwinden wird unter Biden der demagogische Populismus. Den hat es in den USA immer wieder mal gegeben, in den diversen "progressiven" Listen wie bei den Demokraten und jetzt eben bei den Republikanern. Dass Trump bei letzteren der Mehrheitsführer bleiben kann, bezweifle ich. Er mag uns als Kopf einer lärmenden, ewig stänkernden extremistischen Minderheit erhalten bleiben, aber das wird ihm auf die Dauer nicht genügen. Er könnte es wiedermal mit einer Dritten Partei versuchen, aber dafür hat er wiederum nicht genug Puste. Am ehesten kann ich mir vorstellen, dass er nun, wo die Luft raus ist, gegen all die Verräter tobt, die ihn im Stich gelassen haben, und langsam so klein und hässlich wird, dass es selbst die Treuesten der Treuen graust.

JE

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