aus welt.de, 15. 11. 2020
Die SPD-Verteidigungspolitiker wollen der schleppenden militärischen Integration Europas „revolutionären Schub“ verleihen. In einem zwölf Seiten starken Papier, das WELT AM SONNTAG exklusiv vorliegt, fordert die Arbeitsgemeinschaft Sicherheits- und Verteidigungs-politik der SPD-Bundestagsfraktion zu diesem Zweck die Einführung einer „28. EU-Armee“.
Statt sich wie bisher auf eine Weiterentwicklung der Kooperation der 27 nationalen Streitkräfte zu konzentrieren, soll eine neue, eigene Armee geschaffen werden – parallel zu den nationalen Truppen wie der Bundeswehr. Die 28. Armee soll direkt der EU-Kommission unterstellt und von einem neu zu berufenden Verteidigungskommissar verantwortet werden. Die politische Kontrolle würde über einen ebenfalls zu gründenden Verteidigungsausschuss im Europapar-lament erfolgen, nach Vorbild der deutschen Parlamentsarmee würden die Abgeordneten auf Antrag der Kommission mit einfacher Mehrheit über Einsätze entscheiden.
„Es geht uns darum, unabhängig von den leidigen Souveränitätsfragen die Handlungsfähigkeit der EU zu verbessern“, sagte Fritz Felgentreu, der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, WELT AM SONNTAG. „Neben der schon vorhandenen handelspolitischen Durchsetzungsfähigkeit und der angestrebten größeren Geschlossenheit in der Diplomatie kann die 28. Armee den militärischen Pfeiler europäischer Zusammenarbeit nachhaltig stärken.“
Der Nukleus der 28. Armee orientiert sich laut Konzeptpapier an den bereits existierenden Battlegroups. Demnach basiert die Armee in ihrer Anfangsbefähigung auf rund 1500 Soldaten. Mittelfristig soll sie auf die Größe einer verstärkten Kampftruppenbrigade wachsen und damit inklusive der Unterstützungselemente wie Logistik und Sanität auf rund 8000 Soldaten anstei-gen.
Das Besondere an der Idee: Die Angehörigen der 28. Armee werden nicht aus Kontingenten nationaler Streitkräfte bereitgestellt, sondern rekrutieren sich aus Berufssoldaten, die bereits in EU-Armeen dienen und sich auf die einzelnen Dienstposten bewerben. Mit dem Eintritt in die 28. Armee unterstehen diese Soldaten dann nicht mehr ihren nationalen Kommandostruktu-ren, sondern einem „Chief of Defence“ der EU, ähnlich dem Generalinspekteur der Bundes-wehr. Der würde auf Vorschlag des Verteidigungskommissars nach Bestätigung des Parlaments ernannt.
Der frühere Wehrbeauftragte des Bundestags, Hans-Peter Bartels (SPD), begrüßt den Vorstoß. „Das ist ein Supervorschlag, der geeignet ist, den Stillstand in Brüssel aufzubrechen“, sagte Bartels WELT AM SONNTAG. „Und klar ist: Die rotierenden Battlegroups haben sich in der Tat nicht bewährt.“ Tatsächlich hat die EU-Kommission derzeit Probleme, Truppensteller für die EU-Battlegroups für das erste Halbjahr 2021 zu finden. Bis Ende Dezember führen noch Deutschland und Italien die jeweils rund 1500 Soldaten umfassenden Kampfgruppen, die der EU als schnelle Krisenreaktionskräfte exklusiv zur Verfügung stehen.
Nach Informationen von WELT AM SONNTAG hat die EU-Kommission nun Berlin und Rom gebeten, die Aufgabe für zumindest drei weitere Monate fortzuführen. Das Bundesmi-nisterium der Verteidigung hat dem Vernehmen nach grundsätzlich Bereitschaft signalisiert – allerdings nur, sofern weitere Teilfähigkeiten von anderen Ländern übernommen werden.
Nota. - Wäre das die Parlamentarisierung der EU hintenrum? Nüchtern gesprochen sind die bewaffneten Kräfte die Spitze der Souveränität. Von hintenrum könnte da nicht die Rede sein - eben nicht: von der Seite einschleichen, sondern von ganz oben mit schweren Stiefeln und großem Knall!
Es ist ja denkbar, dass die deutschen Sozialdemokraten das im Bewusstsein ihrer geschwun-denen politischen Bedeutung gar nicht ernstgemeint haben, sondern bloß mal eine Zeitungs-sensation produzieren wollen. Doch wenn es ernstgemeint war, ist es ein Putschversuch nicht gleich in Europa, sondern zuerst in der SPD.
Wenn er eine hitzige Debatte anfeuert, hier wie dort, ist er auf alle Fälle zu begrüßen.
JE
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