Montag, 2. November 2020

Industrie und Handel in der Jungsteinzeit.

 

aus tagesspiegel.de, 2. 11. 2020

Handel mit Feuerstein florierte in der Steinzeit 
Vor 7000 Jahren verkauften Menschen im heutigen Niederbayern Feuerstein in weite Teile Europas.

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Als Alexander Binsteiner vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege in Landshut in den 1980er Jahren in der Nähe des Ortsteils Arnhofen der niederbayerischen Kleinstadt Abensberg die Reste eines 7000 Jahre alten Bergwerks untersuchte, hatte er den ersten Stein eines Mosaiks gefunden, auf dem er heute ein ganzes Handelsimperium der Steinzeit sieht.

Das Geschäft mit den abgebauten Feuerstein-Platten und den daraus gefertigten Klingen florierte anscheinend weit mehr als tausend Jahre lang, schließt der heute freiberufliche Geoarchäologe aus der Analyse der in Niederösterreich, Böhmen, dem Ruhrgebiet und am Bodensee ausgegrabenen Funde. Und er kennt inzwischen auch die Werkstätten, in denen die wertvollen Klingen hergestellt und die Routen, auf denen die Waren vertrieben wurden.

„Dieser Werkstoff spielte in der Steinzeit die gleiche Rolle wie Stahl im Industriezeitalter“, erklärt Binsteiner. Nur aus Feuerstein konnten die Menschen damals stabile Messer und Klingen für ihre Erntesicheln schlagen, die lange scharf blieben. Lagerstätten gab es in etlichen Regionen der Welt, der in der Region Arnhofen geförderte Feuerstein war aber wahrscheinlich von besonders guter Qualität.

Graben im harten Untergrund

Binsteiner untersuchte die Schächte der Steinzeit-Bergleute mit Methoden der modernen Geoarchäologie: So fielen dem Forscher auf Luftbildern von Äckern bei Arnhofen dunkle Flecken auf, die nur auf Aufnahmen zu sehen waren, die kurz vor Sonnenuntergang entstanden.

Dort hatten die Feuerstein-Bergleute Schächte mit einem Durchmesser von knapp zwei Metern durch Schichten aus Kies und Sand gegraben, unter denen der Feuerstein lag. Er entdeckte bis zu fünfhundert dieser längst wieder aufgefüllten Schacht-Anlagen auf einem gerade einmal Fußballfeld-großen Acker. In welcher Tiefe die Steinzeitmenschen auf Feuerstein stießen, bestimmte Binsteiner in dem er die Schwingungen analysierte, die starke Hammerschläge auslösten und die ähnlich wie Erdbebenwellen durch den Untergrund laufen.

Offensichtlich hatten die Bergleute damals ihre Schächte nur bis zu acht Meter tief in den Untergrund getrieben. „Nur bis in diese Tiefe hielten anscheinend einfache Weidengeflechte die Wände davon ab, in die Tiefe zu rutschen“, erklärt Binsteiner. „Vier Menschen dürften in einer oder zwei Wochen einen solchen Schacht mit einfachen Schaufeln aus Holz gegraben haben“, vermutet der Geoarchäologe. Wahrscheinlich hätten die Bergleute nur gegraben, wenn Trockenperioden im Hochsommer oder Fröste im Winter die Wände der Schächte hart werden ließen.

Um gefahrlos in die Gruben zu steigen, schlugen die Menschen Kerben in Baumstämme, die sie dann als Steigbäume benutzten. „Zehn bis zwölf Kilogramm Feuerstein holten die Arbeiter wohl aus einer Grube und konnten daraus etwa hundert Klingen schlagen“, schätzt der Geoarchäologe. Mit Hacken, die sie aus den Geweihen von Hirschen gefertigt hatten, lösten sie das Material, anschließend wurde es vermutlich in Körben an die Oberfläche gezogen.

Fanden sie in der Tiefe keinen Feuerstein mehr, gruben sie daneben den nächsten Schacht und deponierten den Aushub in der ausgebeuteten Grube. Auf einer Fläche von etwa einem Viertel Quadratkilometer hoben sie rund zwanzigtausend solcher Gruben aus. Viele von ihnen hatten nur einen Durchmesser von etwa einem Meter. „Selbst zierliche Erwachsene konnten dort nicht arbeiten, vermutlich übernahmen also Kinder diesen Job“, meint Binsteiner.

Flüsse als Exportrouten

Der Feuerstein wurde grob zu Rohlingen zugeschlagen und anschließend vermutlich auf dem Wasserweg in Steinzeit-Werkstätten gebracht, in denen Klingen und Sensen aus dem Material gefertigt wurden, die „scharf wie ein Rasiermesser waren“, beschreibt Binsteiner. Er wertete Fundstücke aus der Sammlung des Historischen Museums in Regensburg aus und fand dort Hinweise auf einige solcher Manufakturen in der Umgebung des heutigen Regensburgs.

Aus der geschätzten Menge von einigen hundert Tonnen Feuerstein, die in der Region Arnhofen über mehr als ein Jahrtausend gefördert wurden, könnten etliche Millionen Messerklingen und Einsätze für Sicheln hergestellt worden sein. Das dürfte weit mehr gewesen sein, als die Bauern der Region brauchten.

Binsteiner vermutet, dass viele der Feuerstein-Klingen exportiert worden seien. In den vergangen Jahren konnte er Gegenden identifizieren, in denen die wertvollen Feuerstein-Werkzeuge gehandelt wurden. Woher ein Feuerstein stammt, erkennt der Geoarchäologe anhand von charakteristischen Farben, Bändern und Schlieren, die sich durch das Material ziehen. Mit einem Spezial-Mikroskop sucht er dann noch nach Mikro-Fossilien, die im Feuerstein eingeschlossen sind und die oft eindeutig auf die Herkunft des Materials schließen lassen.

Bis zu sechzig Prozent der Feuersteinfunde im heutigen Tschechien stammten demnach aus den Bergwerken in Arnhofen, 18 Prozent in der Gegend der heutigen Stadt Linz in Oberösterreich und 15 bis 30 Prozent in der Region des heutigen Melk in Niederösterreich. Selbst im 450 Kilometer entfernten Kamptal und in der jüngst ausgegrabenen, 6600 Jahre alten und 420 Kilometer entfernten Kreisgraben-Anlage von Schiltern in Niederösterreich wurden Waren aus den Feuerstein-Manufakturen gefunden, außerdem im Ruhrgebiet und in der Gegend des heutigen Stuttgart.r

Wege, auf denen die Feuersteine exportiert wurden, hat Binsteiner anhand von ausgegrabenen Abfallhaufen mit Feuerstein-Splittern rekonstruiert. Anscheinend bearbeiteten Händler auch Rohlinge an ihren Rastplätzen. Sehr viele dieser Schutthaufen fand der Forscher am Ufer des Flusses Regen. „Vermutlich haben die Händler die Feuersteine in Einbäumen transportiert, die sie flussaufwärts zogen“, sagt Binsteiner. Eine weitere Handelsstraße habe wahrscheinlich auf der Donau stromabwärts und auf den Nebenflüssen dann zu weiteren Tauschpartnern geführt.

 

 

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