Samstag, 14. September 2013

Austerität in Griechenland.

aus NZZ, 14. 9. 2013

Verkannter Sparerfolg von Griechenland
 
Die Rezession vernebelt die Leistungen einer Politik der radikalen Ausgabenkürzung

Dank einer rigiden Austeritätspolitik hat Griechenland die enormen Defizite im Haushalt deutlich reduziert. Ohne substanzielle Reformen wären diese Einsparungen gar nicht möglich gewesen. 

Panagis Galiatsatos, Athen 

Von allen Krisenländern des europäischen Südens hat Griechenland die schlechteste Presse. Die Kritiker der Rettungsprogramme betrachten das Land als einen hoffnungslosen Fall. Selbst von Troika-Mitgliedern wie dem Internationalen Währungsfonds (IMF) werden Zweifel an der Reformfähigkeit des Landes geäussert. Erfolge der Griechen werden mit Misstrauen zur Kenntnis genommen; jede Abweichung von den Vorgaben gibt Anlass zu Vorwürfen, wie die hitzige Debatte der letzten Tage in Deutschland zeigt.

Kritik ist unfair

Nüchtern betrachtet ist dies unfair, denn Griechenland hat ein Ausmass an Anpassungen erreicht, das in der OECD-Geschichte beispiellos ist. Im Zeitraum 2009 bis 2012 schrumpfte das öffentliche Defizit um 9,3 Prozentpunkte von 15,6% auf 6,3% des Bruttoinlandproduktes (BIP), und das Primärdefizit, bei dem im Unterschied zum «normalen» Haushalt die Zinsausgaben herausgerechnet sind, nahm von 10,4% auf 1,3% des BIP ab. Diese Leistung wurde während der schwersten Rezession der Nachkriegszeit erbracht. Konjunkturbereinigt hat Griechenland eine Konsolidierung des Staatshaushaltes um 16 Prozentpunkte des BIP erreicht. Portugal hat in der gleichen Zeit lediglich eine Anpassung von 7,8 Prozentpunkte, Irland eine solche von gar nur 6 Prozentpunkte geschafft.

Die knapp elf Millionen Griechen zahlen dafür einen hohen Preis. Das Land befand sich bereits 2009 mit einem Rückgang des Bruttoinlandproduktes um 3,2% tief in der Rezession. Die Kontraktion beschleunigte sich 2011 auf 6,8% des BIP, 2012 lag sie noch bei 6,4% des BIP. Die Inlandsnachfrage brach zusammen, etwa 100 000 Unternehmen gingen in Konkurs. Die Arbeitslosenquote explodierte auf 27%, rund 1 Mio. Menschen verlor ihren Job. Die Griechen büssten durchschnittlich 30% ihres Einkommens ein. Das Land zählt inzwischen rund 500 000 Familien ohne jegliches Arbeitseinkommen. Die tiefe Rezession hat seit 2008 21% des BIP gekostet. Sie hat in dreifacher Hinsicht fatale Folgen. Erstens nahm die Staatsverschuldung in Relation zum BIP stetig zu. Zweitens schrieben die Märkte und die internationale Presse Griechenland ab. Drittens wirkte sich das latente Risiko eines Euro-Austritts verheerend auf die Liquidität der Wirtschaft und auf die Investitionen und Privatisierungen aus. In der Öffentlichkeit der Gläubiger-Staaten verfestigte sich der Eindruck, dass die Griechen sich nicht genug Mühe geben. Bei den Griechen wiederum setzte sich, dank Mithilfe der englischsprachigen Presse und IMF-Indiskretionen, der Glaube fest, dass das Austeritätsprogramm eine Fehlkalkulation war.

Gemessen an der Ausgangslage allerdings kann von einem Misserfolg keine Rede sein. Noch 2009 wies Griechenland nicht nur ein öffentliches Defizit von 15,6%, sondern auch ein Leistungsbilanzdefizit von 11,2% des BIP aus. Für die Austeritätspolitik war das Ziel von Anfang an, das doppelte Defizit auf ein erträgliches Mass zu reduzieren. Dieses Ziel wurde erreicht. Griechenland steuert im laufenden Jahr einen Primärüberschuss an. Das Leistungsbilanzdefizit wurde bis 2012 hauptsächlich wegen des Rückgangs der Importe auf 2,9% des BIP beschränkt.

Wirtschaftspolitische Fehlentscheide blieben in den letzten Jahren allerdings nicht aus. Das wohl beste Beispiel dafür ist die Kürzung der konjunktursensiblen öffentlichen Investitionen. Das öffentliche Investitionsprogramm wurde von 4,1% des BIP im Jahre 2009 auf 3,7% (2010) und dann weiter auf 3,2% (2011) gekürzt. 12% der seit 2009 erreichten Defizitreduktion ging zulasten der Investitionen.


Dies war jedoch nicht der einzige Fehler. In der Anfangsphase des Konsolidierungsprogramms wurde beschlossen, die Hälfte der Anpassungen über eine Erhöhung der Einnahmen zu erreichen. Dies geht auf das Konto der Regierung Papandreou (bis November 2011), die vor radikalen Kürzungen bei den Staatsausgaben zurückschreckte. In den ersten zwei Jahren beschränkten sich die Sparmassnahmen auf die Abschaffung von Weihnachts- und Urlaubsgeld für Staatsbedienstete und Rentner, die Begrenzung der Konsumausgaben des Staates und die Kürzung des öffentlichen Investitionsprogramms.

Dies konnte nicht gutgehen. Als das Rettungsprogramm im Herbst 2011 zu entgleisen drohte, suchte der damalige Finanzminister, Evangelos Venizelos, zusätzliche Einkommensquellen. Beschlossen wurden Massnahmen in Höhe von über 7 Mrd. €, darunter auch die berüchtigte Sondersteuer auf Immobilien, die über die Stromrechnung quasi automatisch eingetrieben wird. In der Hektik wurden dabei Entscheidungen getroffen, die schwerwiegende Folgen hatten: Unter anderem wurde damals eine Sonderverbrauchssteuer auf Erdgas eingeführt, die die Energiekosten der verarbeitenden Industrie um 15% erhöhte. Auch die Strompreise stiegen. Energieintensive Unternehmen wie die auf dem Balkan führenden Glaswerke Yioula SA stellten anschliessend fest, dass für sie die Energiekosten auf die Höhe der Lohnkosten angeschwollen waren. Damit wurden die Wettbewerbsvorteile der rigiden Arbeitsreform, welche eine Senkung der Löhne um 22% gebracht hatte, ausgehebelt.

Konsum drastisch gedrosselt

Die seit 2010 durchgesetzten Steuererhöhungen brachten herzlich wenig ein. Die Steuereinnahmen, die sich 2009 auf 44,8 Mrd. € beliefen, konnten bis 2012 um nur 5 Mrd. € auf 49,7 Mrd. € erhöht werden. Dabei hatten sich die Troika und das griechische Finanzministerium nur von den wichtigsten Steuererhöhungen zusätzliche Einnahmen von mindestens 15 Mrd. € versprochen.

Die begrenzte Ergiebigkeit steuerlicher Eingriffe ist nicht nur auf die Steuervermeidung zurückzuführen. Sie ist vielmehr Ausdruck einer sich ausbreitenden Verarmung, die dazu führt, dass die Griechen jeglichen Konsum drastisch drosseln müssen. Ein Beispiel dafür liefert die Angleichung der steuerlichen Behandlung von Heizöl und Dieselöl, die im Winter 2012/13 in Kraft trat. Auf dem Heizölmarkt wurde ein Umsatzeinbruch von 68% registriert. Ganze Wohnblöcke verzichteten darauf, ihre Heizöltanks zu füllen. Stattdessen versuchten die Bürger, provisorisch mit Klimaanlagen, Holzöfen und Kaminen zu heizen. Über Athen und Thessaloniki hingen dichte Smogwolken. Statt der erwarteten Mehreinnahmen von 1 Mrd. € entstand im Staatshaushalt eine weitere Lücke von 200 Mio. €.

Die neuen Steuern versorgten die Gegner der Troika-Massnahmen mit Argumenten und die internationale Presse mit Schlagzeilen. Entgegen der vorherrschenden Vorstellung wurde die Konsolidierung der Staatsfinanzen aber zum Grossteil über eine Kürzung der Staatsausgaben erreicht. Die Ausgaben des Staatshaushaltes, die im Jahre 2009 80,4 Mrd. € erreicht hatten, wurden 2012 auf 68,7 Mrd. € zurückgefahren.

Mit Ausnahme der Zinszahlungen, die sich trotz dem Schuldenschnitt im Zeitraum 2009 bis 2012 von 12,3 Mrd. € auf 11,73 Mrd. € nur leicht verringerten, wurden die Posten des Staatshaushaltes drastisch beschnitten. Die Ausgaben für Gehälter und Beamtenpensionen wurden von 25,2 Mrd. € (2009) auf 20,5 Mrd. € gekürzt, die Betriebsausgaben des Staates von 9,2 Mrd. € auf 7,1 Mrd. € zurückgefahren, die Zahlungen an öffentliche Träger von 5 Mrd. € auf 3,3 Mrd. € reduziert und die Rüstungsausgaben von 2,2 Mrd. € auf 700 Mio. € zusammengestrichen.

Das öffentliche Investitionsprogramm wurde von 9,3 Mrd. € auf 6,8 Mrd. € gekürzt. Exemplarisch für die Sparbemühungen des griechischen Staates sind die Kürzungen bei den beiden personalintensivsten Ministerien. Die Ausgaben des Verteidigungsministeriums wurden zwischen 2009 und 2012 von 6,5 Mrd. € auf 3,7 Mrd. € beschränkt. Der Anteil der Ausgaben am BIP-Anteil verringerte sich dadurch um 0,9%. Die Ausgaben des Bildungsministeriums wurden ferner von 7,1 Mrd. € auf 5,75 Mrd. € zurückgefahren, blieben aber als Anteil am BIP konstant bei 3%.

Kritiker der Griechenland-Rettung benutzen gerne die Formel von den «notwendigen Reformen, die nicht umgesetzt würden». Sie übersehen dabei, dass Einsparungen solchen Ausmasses ohne substanzielle Reformen nicht möglich wären. So hat Griechenland zwischen 2009 und 2012 eine Rentenreform umgesetzt, die das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre heraufgesetzt und die Höhe der Renten erheblich gekürzt hat.

Nur durch die Kürzungen bei den Renten wurden nach Angaben des gewerkschaftsnahen INE-Instituts bis 2012 4,2 Mrd. € eingespart. Die Gesundheitsreform bremste zudem die zuvor explodierenden Ausgaben und brachte Einsparungen von 1,5 Mrd. €. Im öffentlichen Bereich wurde ein System der einheitlichen Besoldung eingeführt, welches die Ausgaben um 3,5 Mrd. € senkte. Die Reform der kommunalen Selbstverwaltung von 2010 bringt seit 2011 Einsparungen von jährlich 1,2 Mrd. €. Ohne diese Reformen wären die Ausgaben für soziale Transfers, die von 15,47 Mrd. € im Jahre 2009 auf 16,2 Mrd. € im Jahr 2012 stiegen, noch viel stärker gestiegen.

Trotz den Verzögerungen bei der Reform des Systems der Steuereintreibung wird die Behauptung von der Reformunfähigkeit des Landes vom Euro Plus Monitor 2013 der Berenberg Bank und Lisbon Council nicht bestätigt. Demzufolge hat Griechenland stärkere Reformerfolge erzielt als alle anderen Euro-Staaten, wenn auch die unterschiedliche Ausgangslage jedes Landes zu berücksichtigen ist.

Insgesamt wirkte die Austeritätspolitik auf die griechische Wirtschaft wie ein Schock. Der Konsum der griechischen Haushalte fiel ab 2010 im Schnitt um jährlich 7,7%. Sowohl der Auto- wie auch der Immobilienmarkt brachen zusammen. Die Unsicherheit der letzten zwei Jahre über den Verbleib in der Euro-Zone trug dazu bei, dass die Investitionen 2011 um 19,6% und 2012 um 15% zurückgingen und bewirkte zudem einen Abfluss der Einlagen aus dem griechischen Bankensystem über 65 Mrd. €, was das Land in eine schwere Liquiditätskrise stürzte. All dies beschleunigte die Rezession und wirkte sich destabilisierend auf das politische System aus; radikale Parteien gewannen an Boden. Die unsicheren politischen Perspektiven sind auch ein Grund, warum das ehrgeizige Privatisierungsprogramm trotz enorm tiefen Preisen keine Interessenten anlockte.

Für Wirtschaftsprofessor Giorgos Pagoulatos war das grösste Manko der Konsolidierung ihr Tempo. «Anpassungen solchen Ausmasses brauchen nicht drei Jahre, sondern ein Jahrzehnt, um die Wirtschaft nicht zu abzuwürgen», meint er. Die Entscheidung allerdings, dennoch aufs Gaspedal zu drücken waren seiner Ansicht nach politisch motiviert. Sie spiegelten das Misstrauen der EU-Partner gegenüber der griechischen Politik und sollten dem Wahlvolk in den Geberländern zeigen, dass die Griechen nicht mit Samthandschuhen angefasst werden.

Radikalkur überlebt

Der griechische Patient ist an der Radikalkur nicht gestorben. In den letzten Monaten, vor allem dank einem ausgezeichneten Tourismusjahr, mehren sich sogar die Anzeichen dafür, dass eine Erholung bevorsteht. Es besteht allerdings die Gefahr, dass diese dürftig ausfällt, denn die Wirtschaft zehrt seit längerem von der Substanz. Dies ist vor allem an der Stagnation der Exporte im Jahre 2012 abzulesen, die auf die Finanzierungsprobleme der Unternehmen, die Sparpolitik des Staates, aber auch auf die Zerstörung eines Teils der Produktionskapazität durch die Austeritätspolitik zurückzuführen ist. Hinzu kommt, dass die dauerhaft hohe Arbeitslosigkeit die Qualifikationen von 1,3 Mio. Menschen unterminiert, was laut Pagoulatos sich als ein Hindernis für künftiges Wachstum erweisen könnte. Mehr als hitzige Debatten über die Deckung des Finanzierungslochs oder die Nachhaltigkeit der Staatsverschuldung im Jahre 2020 braucht das land Investitionen, um auf einen Wachstumspfad zurückzukehren.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen