Verkannter Sparerfolg von Griechenland 
Die Rezession vernebelt die Leistungen einer Politik der radikalen Ausgabenkürzung 
Dank einer rigiden Austeritätspolitik hat Griechenland die enormen Defizite im Haushalt deutlich reduziert. Ohne substanzielle Reformen wären diese Einsparungen gar nicht möglich gewesen.
Panagis Galiatsatos, Athen
Von allen Krisenländern des europäischen Südens hat Griechenland die schlechteste Presse. Die Kritiker der Rettungsprogramme betrachten das Land als einen hoffnungslosen Fall. Selbst von Troika-Mitgliedern wie dem Internationalen Währungsfonds (IMF) werden Zweifel an der Reformfähigkeit des Landes geäussert. Erfolge der Griechen werden mit Misstrauen zur Kenntnis genommen; jede Abweichung von den Vorgaben gibt Anlass zu Vorwürfen, wie die hitzige Debatte der letzten Tage in Deutschland zeigt.
Kritik ist unfair 
Nüchtern betrachtet ist dies 
unfair, denn Griechenland hat ein Ausmass an Anpassungen erreicht, das 
in der OECD-Geschichte beispiellos ist. Im Zeitraum 2009 bis 2012 
schrumpfte das öffentliche Defizit um 9,3 Prozentpunkte von 15,6% auf 
6,3% des Bruttoinlandproduktes (BIP), und das Primärdefizit, bei dem im 
Unterschied zum «normalen» Haushalt die Zinsausgaben herausgerechnet 
sind, nahm von 10,4% auf 1,3% des BIP ab. Diese Leistung wurde während 
der schwersten Rezession der Nachkriegszeit erbracht. 
Konjunkturbereinigt hat Griechenland eine Konsolidierung des 
Staatshaushaltes um 16 Prozentpunkte des BIP erreicht. Portugal hat in 
der gleichen Zeit lediglich eine Anpassung von 7,8 Prozentpunkte, Irland
 eine solche von gar nur 6 Prozentpunkte geschafft.
Die knapp elf Millionen Griechen 
zahlen dafür einen hohen Preis. Das Land befand sich bereits 2009 mit 
einem Rückgang des Bruttoinlandproduktes um 3,2% tief in der Rezession. 
Die Kontraktion beschleunigte sich 2011 auf 6,8% des BIP, 2012 lag sie 
noch bei 6,4% des BIP. Die Inlandsnachfrage brach zusammen, etwa 100  
000 Unternehmen gingen in Konkurs. Die Arbeitslosenquote explodierte auf
 27%, rund 1 Mio. Menschen verlor ihren Job. Die Griechen büssten 
durchschnittlich 30% ihres Einkommens ein. Das Land zählt inzwischen 
rund 500  000 Familien ohne jegliches Arbeitseinkommen. Die tiefe 
Rezession hat seit 2008 21% des BIP gekostet. Sie hat in dreifacher 
Hinsicht fatale Folgen. Erstens nahm die Staatsverschuldung in Relation 
zum BIP stetig zu. Zweitens schrieben die Märkte und die internationale 
Presse Griechenland ab. Drittens wirkte sich das latente Risiko eines 
Euro-Austritts verheerend auf die Liquidität der Wirtschaft und auf die 
Investitionen und Privatisierungen aus. In der Öffentlichkeit der 
Gläubiger-Staaten verfestigte sich der Eindruck, dass die Griechen sich 
nicht genug Mühe geben. Bei den Griechen wiederum setzte sich, dank 
Mithilfe der englischsprachigen Presse und IMF-Indiskretionen, der 
Glaube fest, dass das Austeritätsprogramm eine Fehlkalkulation war.
Gemessen an der Ausgangslage 
allerdings kann von einem Misserfolg keine Rede sein. Noch 2009 wies 
Griechenland nicht nur ein öffentliches Defizit von 15,6%, sondern auch 
ein Leistungsbilanzdefizit von 11,2% des BIP aus. Für die 
Austeritätspolitik war das Ziel von Anfang an, das doppelte Defizit auf 
ein erträgliches Mass zu reduzieren. Dieses Ziel wurde erreicht. 
Griechenland steuert im laufenden Jahr einen Primärüberschuss an. Das 
Leistungsbilanzdefizit wurde bis 2012 hauptsächlich wegen des Rückgangs 
der Importe auf 2,9% des BIP beschränkt. 
Wirtschaftspolitische 
Fehlentscheide blieben in den letzten Jahren allerdings nicht aus. Das 
wohl beste Beispiel dafür ist die Kürzung der konjunktursensiblen 
öffentlichen Investitionen. Das öffentliche Investitionsprogramm wurde 
von 4,1% des BIP im Jahre 2009 auf 3,7% (2010) und dann weiter auf 3,2% 
(2011) gekürzt. 12% der seit 2009 erreichten Defizitreduktion ging 
zulasten der Investitionen.
Dies war jedoch nicht der einzige Fehler. In der Anfangsphase des Konsolidierungsprogramms wurde beschlossen, die Hälfte der Anpassungen über eine Erhöhung der Einnahmen zu erreichen. Dies geht auf das Konto der Regierung Papandreou (bis November 2011), die vor radikalen Kürzungen bei den Staatsausgaben zurückschreckte. In den ersten zwei Jahren beschränkten sich die Sparmassnahmen auf die Abschaffung von Weihnachts- und Urlaubsgeld für Staatsbedienstete und Rentner, die Begrenzung der Konsumausgaben des Staates und die Kürzung des öffentlichen Investitionsprogramms.
Dies konnte nicht gutgehen. Als 
das Rettungsprogramm im Herbst 2011 zu entgleisen drohte, suchte der 
damalige Finanzminister, Evangelos Venizelos, zusätzliche 
Einkommensquellen. Beschlossen wurden Massnahmen in Höhe von über 7  
Mrd.  €, darunter auch die berüchtigte Sondersteuer auf Immobilien, die 
über die Stromrechnung quasi automatisch eingetrieben wird. In der 
Hektik wurden dabei Entscheidungen getroffen, die schwerwiegende Folgen 
hatten: Unter anderem wurde damals eine Sonderverbrauchssteuer auf 
Erdgas eingeführt, die die Energiekosten der verarbeitenden Industrie um
 15% erhöhte. Auch die Strompreise stiegen. Energieintensive Unternehmen
 wie die auf dem Balkan führenden Glaswerke Yioula SA stellten 
anschliessend fest, dass für sie die Energiekosten auf die Höhe der 
Lohnkosten angeschwollen waren. Damit wurden die Wettbewerbsvorteile der
 rigiden Arbeitsreform, welche eine Senkung der Löhne um 22% gebracht 
hatte, ausgehebelt.
Konsum drastisch gedrosselt 
Die seit 2010 durchgesetzten 
Steuererhöhungen brachten herzlich wenig ein. Die Steuereinnahmen, die 
sich 2009 auf 44,8 Mrd.  € beliefen, konnten bis 2012 um nur 5  Mrd.  € 
auf 49,7  Mrd.  € erhöht werden. Dabei hatten sich die Troika und das 
griechische Finanzministerium nur von den wichtigsten Steuererhöhungen 
zusätzliche Einnahmen von mindestens 15 Mrd.  € versprochen.
Die begrenzte Ergiebigkeit 
steuerlicher Eingriffe ist nicht nur auf die Steuervermeidung 
zurückzuführen. Sie ist vielmehr Ausdruck einer sich ausbreitenden 
Verarmung, die dazu führt, dass die Griechen jeglichen Konsum drastisch 
drosseln müssen. Ein Beispiel dafür liefert die Angleichung der 
steuerlichen Behandlung von Heizöl und Dieselöl, die im Winter 2012/13 
in Kraft trat. Auf dem Heizölmarkt wurde ein Umsatzeinbruch von 68% 
registriert. Ganze Wohnblöcke verzichteten darauf, ihre Heizöltanks zu 
füllen. Stattdessen versuchten die Bürger, provisorisch mit 
Klimaanlagen, Holzöfen und Kaminen zu heizen. Über Athen und 
Thessaloniki hingen dichte Smogwolken. Statt der erwarteten 
Mehreinnahmen von 1  Mrd.  € entstand im Staatshaushalt eine weitere 
Lücke von 200  Mio.  €.
Die neuen Steuern versorgten die 
Gegner der Troika-Massnahmen mit Argumenten und die internationale 
Presse mit Schlagzeilen. Entgegen der vorherrschenden Vorstellung wurde 
die Konsolidierung der Staatsfinanzen aber zum Grossteil über eine 
Kürzung der Staatsausgaben erreicht. Die Ausgaben des Staatshaushaltes, 
die im Jahre 2009 80,4 Mrd.  € erreicht hatten, wurden 2012 auf 68,7 
Mrd.  € zurückgefahren.
Mit Ausnahme der Zinszahlungen, 
die sich trotz dem Schuldenschnitt im Zeitraum 2009 bis 2012 von 12,3  
Mrd.  € auf 11,73  Mrd.  € nur leicht verringerten, wurden die Posten 
des Staatshaushaltes drastisch beschnitten. Die Ausgaben für Gehälter 
und Beamtenpensionen wurden von 25,2  Mrd.  € (2009) auf 20,5  Mrd.  € 
gekürzt, die Betriebsausgaben des Staates von 9,2 Mrd.  € auf 7,1  Mrd. 
 € zurückgefahren, die Zahlungen an öffentliche Träger von 5  Mrd.  € 
auf 3,3  Mrd.  € reduziert und die Rüstungsausgaben von 2,2  Mrd.  € auf
 700  Mio.  € zusammengestrichen.
Das öffentliche 
Investitionsprogramm wurde von 9,3  Mrd.  € auf 6,8 Mrd.  € gekürzt. 
Exemplarisch für die Sparbemühungen des griechischen Staates sind die 
Kürzungen bei den beiden personalintensivsten Ministerien. Die Ausgaben 
des Verteidigungsministeriums wurden zwischen 2009 und 2012 von 6,5  
Mrd.  € auf 3,7  Mrd.  € beschränkt. Der Anteil der Ausgaben am 
BIP-Anteil verringerte sich dadurch um 0,9%. Die Ausgaben des 
Bildungsministeriums wurden ferner von 7,1  Mrd.  € auf 5,75  Mrd.  € 
zurückgefahren, blieben aber als Anteil am BIP konstant bei 3%.
Kritiker der Griechenland-Rettung 
benutzen gerne die Formel von den «notwendigen Reformen, die nicht 
umgesetzt würden». Sie übersehen dabei, dass Einsparungen solchen 
Ausmasses ohne substanzielle Reformen nicht möglich wären. So hat 
Griechenland zwischen 2009 und 2012 eine Rentenreform umgesetzt, die das
 Renteneintrittsalter auf 67 Jahre heraufgesetzt und die Höhe der Renten
 erheblich gekürzt hat.
Nur durch die Kürzungen bei den 
Renten wurden nach Angaben des gewerkschaftsnahen INE-Instituts bis 2012
 4,2  Mrd.  € eingespart. Die Gesundheitsreform bremste zudem die zuvor 
explodierenden Ausgaben und brachte Einsparungen von 1,5  Mrd.  €. Im 
öffentlichen Bereich wurde ein System der einheitlichen Besoldung 
eingeführt, welches die Ausgaben um 3,5 Mrd.  € senkte. Die Reform der 
kommunalen Selbstverwaltung von 2010 bringt seit 2011 Einsparungen von 
jährlich 1,2 Mrd.  €. Ohne diese Reformen wären die Ausgaben für soziale
 Transfers, die von 15,47  Mrd.  € im Jahre 2009 auf 16,2  Mrd.  € im 
Jahr 2012 stiegen, noch viel stärker gestiegen.
Trotz den Verzögerungen bei der 
Reform des Systems der Steuereintreibung wird die Behauptung von der 
Reformunfähigkeit des Landes vom Euro Plus Monitor 2013 der Berenberg 
Bank und Lisbon Council nicht bestätigt. Demzufolge hat Griechenland 
stärkere Reformerfolge erzielt als alle anderen Euro-Staaten, wenn auch 
die unterschiedliche Ausgangslage jedes Landes zu berücksichtigen ist.
Insgesamt wirkte die 
Austeritätspolitik auf die griechische Wirtschaft wie ein Schock. Der 
Konsum der griechischen Haushalte fiel ab 2010 im Schnitt um jährlich 
7,7%. Sowohl der Auto- wie auch der Immobilienmarkt brachen zusammen. 
Die Unsicherheit der letzten zwei Jahre über den Verbleib in der 
Euro-Zone trug dazu bei, dass die Investitionen 2011 um 19,6% und 2012 
um 15% zurückgingen und bewirkte zudem einen Abfluss der Einlagen aus 
dem griechischen Bankensystem über 65 Mrd.  €, was das Land in eine 
schwere Liquiditätskrise stürzte. All dies beschleunigte die Rezession 
und wirkte sich destabilisierend auf das politische System aus; radikale
 Parteien gewannen an Boden. Die unsicheren politischen Perspektiven 
sind auch ein Grund, warum das ehrgeizige Privatisierungsprogramm trotz 
enorm tiefen Preisen keine Interessenten anlockte.
Für Wirtschaftsprofessor Giorgos 
Pagoulatos war das grösste Manko der Konsolidierung ihr Tempo. 
«Anpassungen solchen Ausmasses brauchen nicht drei Jahre, sondern ein 
Jahrzehnt, um die Wirtschaft nicht zu abzuwürgen», meint er. Die 
Entscheidung allerdings, dennoch aufs Gaspedal zu drücken waren seiner 
Ansicht nach politisch motiviert. Sie spiegelten das Misstrauen der 
EU-Partner gegenüber der griechischen Politik und sollten dem Wahlvolk 
in den Geberländern zeigen, dass die Griechen nicht mit Samthandschuhen 
angefasst werden.
Radikalkur überlebt 
Der griechische Patient ist an der
 Radikalkur nicht gestorben. In den letzten Monaten, vor allem dank 
einem ausgezeichneten Tourismusjahr, mehren sich sogar die Anzeichen 
dafür, dass eine Erholung bevorsteht. Es besteht allerdings die Gefahr, 
dass diese dürftig ausfällt, denn die Wirtschaft zehrt seit längerem von
 der Substanz. Dies ist vor allem an der Stagnation der Exporte im Jahre
 2012 abzulesen, die auf die Finanzierungsprobleme der Unternehmen, die 
Sparpolitik des Staates, aber auch auf die Zerstörung eines Teils der 
Produktionskapazität durch die Austeritätspolitik zurückzuführen ist. 
Hinzu kommt, dass die dauerhaft hohe Arbeitslosigkeit die 
Qualifikationen von 1,3 Mio. Menschen unterminiert, was laut Pagoulatos 
sich als ein Hindernis für künftiges Wachstum erweisen könnte. Mehr als 
hitzige Debatten über die Deckung des Finanzierungslochs oder die 
Nachhaltigkeit der Staatsverschuldung im Jahre 2020 braucht das land 
Investitionen, um auf einen Wachstumspfad zurückzukehren.


 
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