Samstag, 21. September 2013

Gedrängel in der Mitte.

aus NZZ, 21. 9. 2013                                                                                             nach Wolfgang, pixelio.de

Die deutsche Biedermeierstube
 

Deutschland geht es so gut, dass die Parteien im Wahlkampf Mühe hatten, Themen zu finden, über die es sich zu streiten lohnt. Die Kehrseite von so viel Konsens ist intellektuelle Trägheit.  

Von Eric Gujer 

Jeder Wahlkampf ist eine Reise durch die geistige Landschaft eines Landes. Nach den Strapazen der Wiedervereinigung, der Aufregung um Schröders Agenda 2010 und der Euro-Krise richten sich die Deutschen in einer mentalen Biedermeierstube ein - froh, nur über das Aufregerthema Veggie-Day, die Forderung nach einem fleischlosen Tag in Kantinen, nachdenken zu müssen und nicht über den Zustand der Welt. So viel genügsame Harmonie hat allerdings ihren Preis. Der Bundestagswahlkampf sei sterbenslangweilig, monierten Beobachter. Tatsächlich taten sich die Parteien schwer, kontrovers zu diskutieren, zu ähnlich waren die meisten Positionen. Die Sozialdemokraten unternahmen zwar einmal den müden Versuch, eine Auseinandersetzung zu inszenieren. Sie warfen Kanzlerin Merkel vor, sie habe die SPD beleidigt, indem sie der Partei Unzuverlässigkeit unterstellte. Doch ausser den Berufsempörten mochte sich niemand so richtig über Merkels Sünde aufregen, und bald kehrte wieder Ruhe ein in deutschen Gefilden. Die Entspanntheit ist zunächst ein gutes Zeichen, denn der Hauptzweck eines Wahlkampfes besteht nicht darin, den Wähler mit einer Unterhaltungsshow im Stil von «Wetten, dass . . .?» und «Wünsch Dir was» die Zeit zu vertreiben.

Blackout-Politik

Die Absenz grosser Reizthemen ist ein Indikator dafür, dass es der Bundesrepublik gutgeht. Die Wirtschaft wächst moderat, die Arbeitslosigkeit ist nach wie vor tief. Im Vergleich zu anderen EU-Staaten steht das Land prächtig da. Auch die Regierung gibt den Wählern Anlass zur Zufriedenheit. Wechselstimmung herrscht nicht, Angela Merkel hat gute Chancen, ihren Arbeitsplatz im Kanzleramt zu behalten, ob mit der FDP oder einer anderen Koalition ist für sie einerlei. In vielen EU-Staaten, in denen seit Ausbruch der Euro-Krise gewählt wurde, gaben die Bürger ihren Regierungen den Laufpass. Und diejenigen, die seither ins Amt gelangten, kämpfen mit Problemen. Präsident Hollande schneidet in Umfragen nicht nur wegen seiner Wirtschaftspolitik schlecht ab. Premierminister Cameron versagten die eigenen Abgeordneten die Gefolgschaft in einer Syrien-Abstimmung. Seine Europapolitik, ein Referendum über einen Austritt abzuhalten, um den Verbleib des Landes in der EU zu sichern, ist ein Hochseilakt. In zwei wichtigen EU-Ländern sind die Regierungen geschwächt. Auch hier kann Deutschland zur Ausnahme werden. Bleibt Merkel Regierungschefin, gewinnt sie in Brüssel weiter an Statur. Deutschlands Gewicht wird nochmals wachsen.

Während die Kanzlerin auf der europäischen Bühne überlebensgross präsent ist, machte sie sich und ihre Partei in der Innenpolitik fast unsichtbar. Merkel gab im Lauf ihrer Amtszeit die meisten ihrer Positionen auf, mit denen sie einmal angetreten war. Von ihrem Plädoyer für mutige Wirtschaftsreformen blieb so wenig übrig wie von ihrem Bekenntnis zur Atomkraft. Stattdessen stürzte sie sich kopfüber in die Energiewende, die Reaktoren schneller stilllegt, als das notorische Atomgegner je gewagt hätten. Merkel korrigierte auch nie die Förderung der erneuerbaren Energien, weshalb die Stromrechnung für Privathaushalte in 15 Jahren um 70 Prozent stieg. Die Subventionen bringen den Strommarkt so durcheinander, dass die Energiekonzerne unrentable, aber für die Versorgungssicherheit notwendige Kohlekraftwerke abschalten wollen. Der drohende Blackout ist das Symbol einer Konsenspolitik, der alle zustimmen. Obwohl die Konsequenzen der Energiewende für ein Industrieland gravierend sind, werden sie im Bundestag kaum erörtert. Schliesslich haben SPD und Grüne den ökologischen Voodoo-Zauber einst erfunden, weshalb sie heute allenfalls an Details herummäkeln. Eine ernsthafte Debatte findet nur ausserhalb des Parlaments statt.

Ob Euro-Rettung, Familienpolitik oder die Haltung zu Militäreinsätzen im Ausland: Stets herrscht zwischen den Lagern im Bundestag ein unausgesprochenes Einverständnis. Die Kehrseite ist allerdings intellektuelle Trägheit, um Alternativen wird kaum gerungen. Die grosse Koalition ist daher der heimliche Favorit von Regierenden wie Regierten, auch diesmal ist sie neben der Fortsetzung von Schwarz-Gelb die wahrscheinlichste Variante. Angepriesen wird sie als ganz grosse Lösung für ganz schwierige Fragen, doch in Wirklichkeit ist sie vor allem für deren Protagonisten vorteilhaft. Die Opposition spielt nur eine untergeordnete Rolle, so lässt sich bequem regieren. Der Kerngedanke der Demokratie, der Wettbewerb der Ideen, verliert an Bedeutung. An die Stelle der inhaltlichen Auseinandersetzung tritt das bürokratische Verfahren, das routinierte Aushandeln von Kompromissen. Die Politikverdrossenheit, ohnehin der Deutschen politische Lieblingsvokabel, nimmt so weiter zu. Nicht von ungefähr rätseln alle Beobachter, ob eine Protestpartei - die Alternative für Deutschland - bereits wenige Monate nach ihrer Gründung den Sprung ins Parlament schafft.

Staatsgläubigkeit und Menschheitsbeglückung

Trotz der programmatischen Nähe der etablierten Parteien liegen CDU und CSU in Umfragen weit vorn. Sie verdanken dies ihrer Spitzenkandidatin, die gänzlich die Maxime verinnerlicht hat, dass Wahlen in der Mitte gewonnen werden. Angela Merkel handelt wie eine sozialdemokratische Kanzlerin, propagiert aber Umverteilung und Staatsgläubigkeit nicht so penetrant wie die Konkurrenz. Ein Veggie-Day käme ihr im Gegensatz zu den grünen Weltverbesserern nie in den Sinn. Sie weiss auch, dass es für Bürger und Unternehmen eine Grenze der Belastbarkeit gibt. Zwar zog auch Merkel schon einmal mit der Forderung nach Steuererhöhungen in einen Wahlkampf, aber mit erkennbar schlechtem Gewissen. Dass hingegen die SPD ausgerechnet in Zeiten rekordhoher Staatseinnahmen zusätzliche Steuern geradezu für das Menschenrecht eines jedes Finanzministers hält, bringt nicht nur die gern geschmähten Besserverdiener ins Grübeln. Die Sozialdemokraten geben sich als prononciert linke Partei, um Stammwähler zu mobilisieren. Gleichzeitig schliessen sie ein Bündnis unter Einschluss der Linkspartei aus. Da es für eine rot-grüne Koalition nicht reicht, verbaut sich die SPD damit die Aussicht auf eine Regierungsmehrheit und findet allenfalls als Juniorpartnerin Platz am Kabinettstisch.

Die Schwäche der Opposition, Merkels Wendigkeit und der Popularitätsvorsprung gegenüber ihrem Herausforderer sind die Faktoren, die der Union abermals die Macht sichern dürften. In einem anderen Land mit mehr Sorgen und einem raueren politischen Klima wäre dies eine zu bescheidene Bilanz, um dem Wahlabend gelassen entgegenzublicken. In der Wohlfühl-Republik Deutschland jedoch kann es genügen.


Nota.

Warum ist das so? Weil alle um dieselbe Wählerschaft buhlen. "Deutsche Wahlen werden in der Mitte entschieden", heißt der Glaubenssatz. Aber er ist kurzsichtig, denn 'die Mitte' schrumpft und zersetzt sich dabei.
J.E.

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