Als der Westen in Syrien eingriff
Montag, 16. September 2013
Der Westen griff in Syrien ein.
aus Süddeutsche.de, Jean-Adolphe Beaucé, Partant pour la Syrie
Als der Westen in Syrien eingriff
Ein westlicher Militärschlag in Syrien? Das gab es schon einmal.
Zum Schutz bedrängter Zivilisten schickten die Europäer 1860
Kriegsschiffe. Die Parallelen zu heute sind bemerkenswert.
Frankreichs Staatschef tobt. In einem offenen Brief empört er
sich über die "erbärmliche Missgunst und das haltlose Misstrauen derer,
die unterstellen", hinter seiner Entscheidung, Soldaten nach Syrien zu
schicken, stecke "irgendein Interesse außer jenem an Humanität."
Die Berichte aus Damaskus haben im Westen ehrliches Entsetzen
ausgelöst: "Kindern ist vor den Füßen ihrer Mütter die Kehle
aufgeschlitzt worden", hat der französische Konsul fassungslos nach
Hause gemeldet. "Frauen und Mädchen sind vor ihren Ehemännern und Vätern
vergewaltigt worden. Die Männer haben sie in den Straßen mit Äxten
zerschnitzt." Was da mit der christlichen Minderheit geschehe, komme
einer Vernichtung gleich.
Paris kann die Gräuel nicht ignorieren. Die französischen
Zeitungen sind voll davon. Bereits 5500 zivile Opfer zählt man, dazu ein
Vielfaches an Flüchtlingen. So stellt sich Frankreich an die Spitze
derer, die handeln wollen. "Soldaten!", ruft Napoleon III., Kaiser der
Franzosen, am 7. August 1860 vor zwei Regimentern und einem Schwadron
berittener Husaren, die sich in Châlons-sur-Marne zu einem Quadrat
aufgestellt haben, in ihrer Mitte die wehende Trikolore. "Ihr startet
gen Syrien, und Frankreich begrüßt mit Freude eine Expedition, die bloß
ein Ziel kennt, nämlich dem Recht der Gerechtigkeit und der Humanität
zum Triumph zu verhelfen." Ein Aufschrei des Gewissens also? Ein Akt aus
Mitgefühl - mit jenen Syrern, die ihrer christlichen Konfession wegen
weniger fremd gewirkt haben mögen als andere?
Es ist einiges zusammengekommen, bevor Frankreich eine kleine
Koalition europäischer Staaten zusammengetrommelt hat, die 12 000
Soldaten über das Mittelmeer nach Syrien schickt; die Hälfte von ihnen
Franzosen. Es spielen bei weitem nicht nur Entsetzen und Mitleid eine
Rolle. Der Kolonialmacht Frankreich geht es auch um Einflusssphären - um
ihre Rolle als Ordnungsmacht im Nahen Osten, würde man heute vielleicht
sagen. Und den Partnern geht es auch darum, Frankreich auf die Finger
zu schauen. Dennoch, ihr Entsetzen ist echt, und die Hilfe, die in
Syrien ankommt, ist es auch: 22 Kriegsschiffe segeln unter den
verschiedensten europäischen Flaggen in Richtung Syrien. Nur
Großbritannien hat Bedenken. London befürchtet, eine Intervention werde
"einen schärferen Fanatismus unter den Muselmanen" hervorrufen. Erst die
Nachricht von dem Massaker in Damaskus, dem grausigen Höhepunkt des
Bürgerkriegs zwischen den maronitischen Christen und der Gruppe der
Drusen in Syrien, überzeugt die Briten schließlich.
So wird der Syrieneinsatz zu einer Mission, die den Europäern in
den folgenden Jahrzehnten als Vorbild dient, wie der Genfer Historiker
Davide Rodogno in dem 2011 erschienenen Sammelband "Humanitarian
Intervention: A History" schreibt: Europas Könige bemühen sich von nun
an, Koalitionen zu schmieden, wenn sie glaubwürdig als selbstlose Helfer
erscheinen wollen. Für die von den Türken bedrängten Menschen auf Kreta
im Jahr 1868, für Bulgarien in den 1870er Jahren, oder für Mazedonien
in den frühen 1900er Jahren.
In Syrien sind die Massaker schon vorbei, als die 22
Kriegsschiffe ankommen. Die syrischen Christen haben sich schlicht
unterworfen, in einem "Friedensschluss"; den Europäern bleibt nur noch,
einige Schuldige vor Tribunale zu zerren. Natürlich zeigen sie in
Damaskus aber ihre Waffen. Wenn die christliche Minderheit je wieder
derart bedrängt würde, so lautet die Botschaft, als die Europäer nach
sechs Monaten abziehen, werde man wiederkommen.
Westliche Interventionen gab es oft in der Geschichte: Eine
Langfassung dieses Textes finden Sie im Wochenendteil der SZ vom 14./15.
September.
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