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Krieg als Triebkraft der Kulturen?
Modell simuliert Entwicklung der großen Zivilisationen und enthüllt ihre Triebkräfte
Was treibt die Entwicklung von Kulturen an? Was bringt zerstreute
Gruppen von Menschen dazu, Reiche und Imperien zu erschaffen? Diese
Frage beschäftigt Geschichtsforscher schon seit Jahrhunderten. Jetzt hat
ein internationales Forscherteam die Sache erstmals mit Hilfe einer
Modellsimulation ergründet. Ihr ernüchterndes Ergebnis: Die
Haupttriebkraft für komplexe Gesellschaften ist der Krieg und die
Ausbreitung von immer effektiveren Waffentechniken, so die Forscher im
Fachmagazin "Proceedings of the National Academy of Sciences".
Ob
Ägypten, die Sumerer oder die Maya - immer wieder in der Geschichte
haben sich in verschiedensten Regionen der Erde komplexe Hochkulturen
gebildet, entstanden ausgedehnte Reiche und Herrschaftsgebiete. Sie alle
entstanden irgendwann aus kleinen Gruppen von Bauern und Handwerkern,
einige aus sesshaften Vorgängern, andere aus nomadischen Wurzeln. Aber
was war der Zündfunke? Was brachte diese Menschen dazu, sich zu
größeren, anonymen und komplexen Gesellschaften zusammenzuschließen? Und
warum entstanden die großen Reiche zu bestimmten Zeiten an bestimmten
Orten?
Simulation bildet Geschichte verblüffend gut ab
Peter Turchin von der University of Connecticut in Storrs und seine
Kollegen haben diese Frage nun genauer untersucht - mit Hilfe eines
Computermodells. In diesem simulierten sie, wo auf der
Eurasisch-Afrikanische Landmasse zwischen 1500 vor und 1500 nach
Christus Imperien entstanden. Als Einflussfaktoren wurden Eigenschaften
der Lebensräume erfasst, wie beispielsweise, ob es sich um
Steppenlandschaften, Grünland oder Bergland handelte und außerdem, wie
die Ausgangskulturen beschaffen waren, beispielsweise inwieweit sich
bereits Landwirtschaft entwickelt hatte. Die Forscher erfassten aber
auch die Entwicklung und Ausbreitung technischer Innovationen und
Kriegstechniken und den Einfluss von Kooperation und Konkurrenz.
Das Ergebnis: Die Simulationen erwiesen sich als erstaunlich
treffsicher. Obwohl sie nur auf Umweltdaten, Modellen und
Gesetzmäßigkeiten beruhten, bildeten sie die tatsächliche historische
Entwicklung relativ genau ab. Auch in der Simulation entstanden die
ersten Reiche am Nil, in Mesopotamien und in China, dann folgte der
Mittelmeerraum und die Indusregion.
Krieg und Kriegstechniken als Triebkraft für Kulturen
Und noch etwas demonstrierte die Simulation: "Die zentrale Annahme des
von uns getesteten Modell war, dass kostspielige Institutionen, die
große Gruppen funktionieren lassen, beispielsweise Verwaltung und
Herrscher, sich als Folge intensiver Konkurrenz zwischen Gesellschaften
entwickelten - durch Krieg", erklären die Forscher. Der Zwang, sich
gegen andere verteidigen zu müssen, sei es, der die vielen kleineren
Gruppen und Siedlungen dazu motivierte, sich zusammenzuschließen und ein
übergeordnetes Staatsgebilde zu gründen, so die These von Turchin und
seinen Kollegen.
Entwicklung von Zivilisationen von 1500 vor bis 1500 nach Christus. Links die reale Geschichte, rechts die Simulation.
Und tatsächlich erwiesen sich der Krieg und die Ausbreitung von
Kriegstechniken im Modell als einer der wichtigsten treibenden Faktoren
für die Bildung neuer Reiche. Ließen sie eine Simulation laufen, in der
der Effekt der sich ausbreitenden militärischen Technologien
herausgelassen wurde, sank die Ähnlichkeit mit der realen Geschichte
drastisch: Statt zwei Dritteln Übereinstimmung waren es nur noch 16
Prozent.
Zwang zu übergeordneten Institutionen und Normen
"Wir argumentieren, dass die Entwicklung und Ausbreitung von
Technologien, die intensivere Formen des Krieges ermöglichten,
ihrerseits die Gesellschaften dazu zwangen, sich Normen und
Institutionen zu geben, die die Kooperation in großen Gruppen möglich
machten und regelten", konstatieren die Forscher. So wurde der Kampf
innerhalb der entstehenden Staatengebilde verhindert, dafür aber kämpfte
man nun mit den Nachbarn.
"Das spannende* an dieser Forschung ist es, dass wir damit allgemeine
historischen Muster erstmals auch mit quantitativer Genauigkeit
beschreiben können", so Turchin und seine Kollegen. "Solche historischen
Entwicklungen zu verstehen hilft uns dabei, die Gegenwart und auch die
Zukunft besser verstehen und vorhersagen zu können." (Proceedings of the
National Academy of Sciences, 2013; doi: 10.1073/pnas.1308825110)
(National Institute for Mathematical and Biological Synthesis (NIMBioS), 24.09.2013 - NPO)
*) (Ich frage mich, wie er das auf English ausgedrückt hat; the most spanning vielleicht? J.E.
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