aus Die Presse, Wien, 19. 9. 2013
Globale Erwärmung
Viel heiße Luft wird abgelassen
Kurz
vor der Veröffentlichung seines nächsten Sachstandsberichts rudert der
UN-Klimabeirat IPCC zurück und revidiert die Grundannahme, auf der die
gesamten bisherigen Szenarien der Erderwärmung aufgebaut waren.
von JÜRGEN LANGENBACH
Auch beim Klimawandel wird nicht so heiß gegessen, wie gekocht wird,
das zeigt sich etwa beim Blick von Nasa-Satelliten auf das Eis der
Arktis: Vor einem Jahr war die eisbedeckte Fläche dort so klein wie nie,
nämlich 3,41 Millionen Quadratkilometer. Klimabesorgte fürchteten das
Ärgste, Klimagewinnler machten Schiffe flott, auf dass sie Amerika,
Europa und Asien auf den kurzen Wegen durch die Arktis verbinden, statt
die weiten um Afrika herum oder durch den Suezkanal nehmen zu müssen.
Aber die Wege blieben zu: Schiffe froren ein oder mussten umdrehen.
Das arktische Eis hat sich gegen alle Erwartungen nicht weiter
ausgedünnt, ganz im Gegenteil: Am 21. August bedeckte es 5,12 Millionen
Quadratkilometer, über die Hälfte mehr als im Vorjahr.
Das will
nicht viel besagen, im Vorjahr kamen zur Erwärmung üble Winde hinzu,
heuer blieben sie aus, und Schwankungen von Jahr zu Jahr in einer Region
der Erde erlauben kein Urteil darüber, wie es weitergeht mit der
globalen Erwärmung. Und ob es überhaupt weitergeht mit ihr: Seit 15
Jahren steht sie still, die offizielle Klimaforschung – die des
UN-Klimabeirats IPCC (Intergovernmental Panel On Climate Change) – hat
es lange ignoriert, nun nimmt sie es zur Kenntnis.
Das ist einer
der Punkte, der nach dem Ritual bekannt wurde, das alle fünf, sechs
Jahre die Welt in Erwärmungsatem hält: Dann publiziert das IPCC seine
Sachstandsberichte, hunderte Seiten Wissenschaft. Und dann publiziert
das IPCC auch das Entscheidende: Eine 31-seitige Zusammenfassung für die
politischen Entscheider. Publiziert wird nächste Woche in Stockholm,
aber, auch das gehört zum Ritual: Entwürfe des Kerndokuments gelangen im
Vorfeld an die Öffentlichkeit.
Was diesmal durchdrang, hat es in
sich: Da wird die Erwärmungspause bestätigt (Erklärung gibt es nicht);
da wird konzediert, dass es im Mittelalter warm war wie heute (bei viel
weniger CO2); unerwähnt hingegen bleiben die Hurrikans, die
im letzten Bericht noch viel Raum einnahmen (die heurige Saison ist noch
nicht vorbei, bisher war sie eine der schwächsten).
Aber all das
sind Peanuts: In der Hauptsache wird das Fundament des ganzen
Klimawandelgebäudes umgebaut. Das heißt equilibrium climate sensitivity
(ECS), es gibt an, um wie viel die Temperaturen sich erhöhen, wenn die
CO2-Gehalte der Atmosphäre sich verdoppeln. Den Wert kennt
niemand, man kann ihn auch nicht experimentell erheben, man kann ihn nur
abschätzen, über Paläodaten etwa. So kursieren alle erdenklichen
Vorschläge, von null Grad Celsius bis zehn Grad.
Prognosen lagen extrem falsch
Das IPCC legte sich im letzten Sachstandsbericht (2007) auf „über
zwei Grad Celsius“ fest, die seien „likely“, aber am wahrscheinlichsten
seien drei Grad. Nun wurde das „likely“ auf 1,5 Grad herabgestuft (und
einen wahrscheinlichsten Wert gibt es nicht). Dieses halbe Grad ist
viel, aber irgendwann muss das IPCC seine Prognosen den gemessenen Daten
annähern. Denn den Prognosen wurde gerade ein übles Zeugnis
ausgestellt: Von 117 standen nur drei halbwegs im Einklang mit der
Erwärmung der letzten 20 Jahre. 114 waren falsch, und wie: Die gemessene
Erwärmung war halb so hoch wie die prognostizierte: „Die gegenwärtige
Generation von Klimamodellen reproduziert nicht die beobachtete
Erwärmung der letzten 20 Jahre“, resümierten die Forscher um John Fyfe
(Canadian Center for Climate Modelling), die den Befund erhoben (Nature
Climate Change, 3.9.).
Ob die Selbstkorrektur des IPCC genügt, die
von Fehlern und Skandalen zerrüttete Glaubwürdigkeit der Institution zu
beleben, sei dahingestellt. Myles Allison (Oxford) etwa plädiert dafür,
das IPCC (ein Mischwesen aus Wissenschaft, Behörde und Politik) möge
sich stärker verwissenschaftlichen statt weiter „Dokumente fast
biblischer Unfehlbarkeit“ produzieren zu wollen.
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