Mittwoch, 11. September 2013

Revolution, II.

aus NZZ, 10. 9. 2013                                                                                             Horace Vernet, Juniinsurrektion 1848

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«Revolution» - ein NZZ-Podium in Luzern

sbe. · Dafür, dass Konrad Paul Liessmann «Revolution» zum «seltsam farblos» gewordenen Begriff erklärt hatte, verlief die Debatte in einem Masse animiert und hochkarätig, dass es ein Staunen und eine Lust war. Nicht weniger als ein Begräbnis erster Klasse hatte der Wiener Philosoph in seinem ebenso konzisen wie klugen (und in der hellwach machenden exaltierten Manier eines Karl Kraus vorgetragenen) Eingangsreferat Tradition angedeihen lassen, die mit der Etablierung des freiheitlich-demokratischen, dynamisch organisierten und sozial ausgleichenden Rechtsstaats zumindest in der westlichen Hemisphäre endgültig in den Fundus der politischen Romantik abgesunken scheint. Die Freiheit sei heute selbstverständlich geworden, und das technisch Neue ereigne sich von selbst.

Die Eule im Kunstflug

Womit Liessmann weder die historische Notwendigkeit von Revolutionen noch die Möglichkeit bestritten haben wollte, dass sich mit der Neofeudalisierung der Gesellschaft erneut ein revolutionäres Moment aufbauen könnte. Revolution als fundamentale Freisetzung des Individuums hält er in den Diktaturen dieser Welt für nötig, freilich zeige der «arabische Frühling» einmal mehr die Aporie des Versuchs, Gerechtigkeit mittels Gewalt herstellen zu wollen. Wieder fresse die Revolution ihre Kinder und münde in ein Chaos, das fruchtbar zu machen sehr lange dauern könne. Wobei fraglich sei, ob eine wirkliche Revolution statthabe - wo eine solche von der Moschee ausgehe, könne es sich nur um eine Umverteilung von Macht handeln.

Revolution ist ein Thema, das die Eule der Minerva zum Kunstflug zumal da verführt, wo die politische und die ästhetische Tradition verfliessen. Eben in diesem Feld fand das NZZ-Podium, das einmal mehr zum Generalthema des Lucerne Festival an den Gestaden des Vierwaldstättersees seinen Auftritt hatte, zu seinen luzidesten Momenten. Unter der Leitung des NZZ-Feuilletonchefs Martin Meyer tauschten sich die Publizistin Cora Stephan, der Komponist Wolfgang Rihm sowie Liessmann aus, wobei der Diskussion zugutekam, dass Stephan und Rihm die «Revolution» von 1968 aus nächster Nähe miterlebt hatten - sie als Aktivistin einer Frankfurter marxistischen Studiengruppe (aus der sie wegen «hedonistischer Abweichung» hinausgeworfen wurde), er als Gymnasiast, von dem mehrere Klassenkameraden zur Kompensation ihres «Mittelmasses» ins Terror-Milieu der RAF abdrifteten und dort teilweise den Tod fanden.

Im Gleichschritt, marsch

Überaus lebhaft und anschaulich begründete Rihm seine Aversion gegen das Pathos der Revolution und ihre Sprache des Unbedingten, in der die Gewalt zu Hause sei. Musikalisch komme Revolution stets im Gleichschritt daher, und es sei kein Zufall, dass politische Revolutionen stets reaktionäre Kunst verordnet hätten. Abgesehen davon, dass Revolutionäre ihre Partikularinteressen oft als Sache der Menschheit verkauften, gebe es in der Kunst keinen kollektiven Aufbruch, sondern nur das Vortasten des Einzelnen (der sich zudem, wie etwa Morandi, meist am Rande der Szene bewege). Die Erfindung des Neuen entstehe bei ihm aus «intimen nervlichen Momenten des der Reflexion zugeführten Trieblebens» oder: «Um die richtige Note zu setzen, muss ich mich revolutionieren.»

Revolution in der Kunst, pflichtete Liessmann bei, gehorche einer ganz anderen Logik als die politische Revolution - nämlich dem Aufbrechen des Formenkanons, weshalb die einzigen, welche diese Art von Revolution wirklich begriffen, die Konservativen als Hüter der Form seien. Dennoch habe es auf den Spuren von Richard Wagners Utopie des Gesamtkunstwerks immer wieder zwanghafte Versuche gegeben, beides zu koppeln - mit den bekannten desaströsen Folgen im Kommunismus wie im Nationalsozialismus. Martin Meyer sah bei Beethoven die Synergie im guten Sinn verwirklicht und erinnerte daran, dass Camus mit seinem literarisch-philosophischen Konzept vom «Mensch in der Revolte» gegen die Schöpfung auch wichtige politische Akzente gesetzt habe.

Cora Stephan verteidigte die Beatles gegen die Rolling Stones - während Letztere auf dem revolutionären Zeitgeist surften, hätten Erstere in ihrem (zumeist unverstandenen) Song «Revolution» Mao eine Totalabsage erteilt. Ungnädig ging sie mit dem ganzen «Gerümpel der Revolutionsideologie» ins Gericht, das heute noch als ewiges Zitat in linksautonomen Kreisen kursiere. Die heute zumal in Deutschland gängige Tyrannei der Intimität, wonach es nicht einfach reiche, dass einer die gesellschaftlichen Regeln befolge, sondern er obendrein «ein guter Mensch» zu sein habe, führte sie auf die Schleifung der Sprache der Formen zurück, wie die 68er Revolution sie betrieben habe. Konvention sei in Wirklichkeit eine Bastion der Freiheit, die den schwachen Menschen vor sich selbst schütze.

Referat und Diskussion in Wort und Bild unter www.nzzpodium.ch.

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