sbe. · Dafür, dass Konrad Paul Liessmann «Revolution» zum «seltsam farblos» gewordenen Begriff erklärt hatte, verlief die Debatte in einem Masse animiert und hochkarätig, dass es ein Staunen und eine Lust war. Nicht weniger als ein Begräbnis erster Klasse hatte der Wiener Philosoph in seinem ebenso konzisen wie klugen (und in der hellwach machenden exaltierten Manier eines Karl Kraus vorgetragenen) Eingangsreferat Tradition angedeihen lassen, die mit der Etablierung des freiheitlich-demokratischen, dynamisch organisierten und sozial ausgleichenden Rechtsstaats zumindest in der westlichen Hemisphäre endgültig in den Fundus der politischen Romantik abgesunken scheint. Die Freiheit sei heute selbstverständlich geworden, und das technisch Neue ereigne sich von selbst.
Die Eule im Kunstflug
Womit Liessmann weder die
historische Notwendigkeit von Revolutionen noch die Möglichkeit
bestritten haben wollte, dass sich mit der Neofeudalisierung der
Gesellschaft erneut ein revolutionäres Moment aufbauen könnte.
Revolution als fundamentale Freisetzung des Individuums hält er in den
Diktaturen dieser Welt für nötig, freilich zeige der «arabische
Frühling» einmal mehr die Aporie des Versuchs, Gerechtigkeit mittels
Gewalt herstellen zu wollen. Wieder fresse die Revolution ihre Kinder
und münde in ein Chaos, das fruchtbar zu machen sehr lange dauern könne.
Wobei fraglich sei, ob eine wirkliche Revolution statthabe - wo eine
solche von der Moschee ausgehe, könne es sich nur um eine Umverteilung
von Macht handeln.
Revolution ist ein Thema, das die
Eule der Minerva zum Kunstflug zumal da verführt, wo die politische und
die ästhetische Tradition verfliessen. Eben in diesem Feld fand das
NZZ-Podium, das einmal mehr zum Generalthema des Lucerne Festival an den
Gestaden des Vierwaldstättersees seinen Auftritt hatte, zu seinen
luzidesten Momenten. Unter der Leitung des NZZ-Feuilletonchefs Martin
Meyer tauschten sich die Publizistin Cora Stephan, der Komponist
Wolfgang Rihm sowie Liessmann aus, wobei der Diskussion zugutekam, dass
Stephan und Rihm die «Revolution» von 1968 aus nächster Nähe miterlebt
hatten - sie als Aktivistin einer Frankfurter marxistischen
Studiengruppe (aus der sie wegen «hedonistischer Abweichung»
hinausgeworfen wurde), er als Gymnasiast, von dem mehrere
Klassenkameraden zur Kompensation ihres «Mittelmasses» ins Terror-Milieu
der RAF abdrifteten und dort teilweise den Tod fanden.
Im Gleichschritt, marsch
Überaus lebhaft und anschaulich
begründete Rihm seine Aversion gegen das Pathos der Revolution und ihre
Sprache des Unbedingten, in der die Gewalt zu Hause sei. Musikalisch
komme Revolution stets im Gleichschritt daher, und es sei kein Zufall,
dass politische Revolutionen stets reaktionäre Kunst verordnet hätten.
Abgesehen davon, dass Revolutionäre ihre Partikularinteressen oft als
Sache der Menschheit verkauften, gebe es in der Kunst keinen kollektiven
Aufbruch, sondern nur das Vortasten des Einzelnen (der sich zudem, wie
etwa Morandi, meist am Rande der Szene bewege). Die Erfindung des Neuen
entstehe bei ihm aus «intimen nervlichen Momenten des der Reflexion
zugeführten Trieblebens» oder: «Um die richtige Note zu setzen, muss ich
mich revolutionieren.»
Revolution in der Kunst,
pflichtete Liessmann bei, gehorche einer ganz anderen Logik als die
politische Revolution - nämlich dem Aufbrechen des Formenkanons, weshalb
die einzigen, welche diese Art von Revolution wirklich begriffen, die
Konservativen als Hüter der Form seien. Dennoch habe es auf den Spuren
von Richard Wagners Utopie des Gesamtkunstwerks immer wieder zwanghafte
Versuche gegeben, beides zu koppeln - mit den bekannten desaströsen
Folgen im Kommunismus wie im Nationalsozialismus. Martin Meyer sah bei
Beethoven die Synergie im guten Sinn verwirklicht und erinnerte daran,
dass Camus mit seinem literarisch-philosophischen Konzept vom «Mensch in
der Revolte» gegen die Schöpfung auch wichtige politische Akzente
gesetzt habe.
Cora Stephan verteidigte die
Beatles gegen die Rolling Stones - während Letztere auf dem
revolutionären Zeitgeist surften, hätten Erstere in ihrem (zumeist
unverstandenen) Song «Revolution» Mao eine Totalabsage erteilt. Ungnädig
ging sie mit dem ganzen «Gerümpel der Revolutionsideologie» ins
Gericht, das heute noch als ewiges Zitat in linksautonomen Kreisen
kursiere. Die heute zumal in Deutschland gängige Tyrannei der Intimität,
wonach es nicht einfach reiche, dass einer die gesellschaftlichen
Regeln befolge, sondern er obendrein «ein guter Mensch» zu sein habe,
führte sie auf die Schleifung der Sprache der Formen zurück, wie die
68er Revolution sie betrieben habe. Konvention sei in Wirklichkeit eine
Bastion der Freiheit, die den schwachen Menschen vor sich selbst
schütze.
Referat und Diskussion in Wort und Bild unter www.nzzpodium.ch.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen